Szene aus "Das Tove-Projekt"

Leben durch die Literatur

Joanna Bednarczyk: Das Tove-Projekt

Theater:Schauspiel Frankfurt, Premiere:02.06.2023Vorlage:„Kopenhagen-Trilogie“ und „Gesichter“Autor(in) der Vorlage:Tove DitlevsenRegie:Ewelina MarciniakKomponist(in):Jan Duszynski

Die dänische Autorin Tove Ditlevsen war eine Pionierin, die ihr eigenes Leben und Literatur verband. Am Schauspiel Frankfurt werden Szenen zu einem bemerkenswerten, aber auch etwas langatmigen Theaterabend verbunden. 

Mit ihren tief ins eigene Leben greifenden Romanen und Erzählungen gilt die Dänin Tove Ditlevsen (1917 bis 1976) als Vorreiterin der gegenwärtigen literarischen Tendenz zur Autofiktion. Ditlevsens Leben und Schreiben wurzelte in den gesellschaftlichen und künstlerischen Bedingungen Kopenhagens. Die eigene Biografie betrachtete sie als literarisch immer wieder zu formendes und durch Imagination zu erweiterndes Material.

Der Herkunft aus dem Arbeitermilieu, ihren vier Ehen, dem männlich dominierten Literaturbetrieb – Ditlevsen setzte ihnen ihren Widerstand entgegen, ohne jedoch solchen Prägungen entrinnen zu können. Der erste Suizidversuch fällt beinahe noch in die Kindheit. Wiederholt hielt sich Ditlevsen sich in der Psychatrie auf. Eine Überdosis Schlaftabletten beendete ihr Leben.

Theater und Metatheater

Aus den vier Romanen, die sie sich zur Vorlage nahm, stellt Joanna Bednarczykam Schauspiel FrankfurtSchauspiel Frankfurt eine Szenenfolge zusammen, in der klar ersichtlich wird, wie die Titelfigur von Jugend an die Welt allererst unter dichterischen Gesichtspunkt stellt. So ersinnt die 17-Jährige ein Lyrisches Ich, das Mutter eines toten Kindes ist. Jahre später bricht die Dichterin selbst eine Schwangerschaft ab, um ihr Schreiben vor drückenden familiären Verpflichtungen zu retten. Weil sie sich veröffentlicht sehen möchte, heiratet sie einen Kleinverleger.

Erzählte Passagen verbinden die Lebensabschnitte. Die romanhaft einher schweifenden Dialoge nehmen sich alle Zeit der Welt, auf der Bühne hingegen drohen sie kraftlos zu verpuffen. Sie leisten den Hauptbeitrag dazu, dass die dreistündige Produktion um einiges zu lang gerät. Erfrischend hingegen jene metatheatralischen Passagen, in denen sich die Titelfigur in ihre Spielerin verwandelt, um die eigene Rollenauffassung zu hinterfragen und den bisweilen gar launig fingierten Dialog mit dem Publikum zu suchen.

Schauspiel und Choreografie

Ewelina Marciniak brennt ein theatrales Feuerwerk ab. Sie lässt die Riesenbühne des Frankfurter Schausspiels in mitunter atemberaubendem Tempo raumgreifend bespielen. So, wenn die junge Poetin ihrem Bruder das Heft mit ihren Gedichten abjagt, das dieser halb im Scherz und halb im Ernst entwendet hatte. Intimen Szenen indessen verleiht Marciniak Kammerspielatmosphäre. Wie Detlevsen ihrem Mann Ebbe eröffnet, sie werde ihre Schwangerschaft nicht zu Ende bringen, damit ihr Zeit zu schreiben bleibe, füllt die kleine Wohnung wie mit Sprengstoff.

Gelöstheit und heiteres Strandleben kommen auf, indem die längst erwachsene Titelfigur mit ihren Freundinnen Kopenhagen zum ersten Mal verlässt. Bei anderer Gelegenheit zieht Marcianak die Titelfigur während eines Partykrachers ohnegleichen in den Sog purer Freude am Dasein. Sprechtheater und Choreografie verbinden sich hier zu völliger Synthese.

Gemeinsam mit Grzegorz Layer gestaltet Marciniak auch den Bühnenraum aus Sand und einem Teich. Zur Party kommt ein Prospekt samt stylisher Lampen aus dem Schnürboden herab. Einzelne Schauplätze wie die elterliche Küche oder diverse Wohnungen fahren als winzige, aber beinahe naturalistische Raumausschnitte auf die Bühne. Julia Kornackas Kostüme durchmessen, wenn auch nicht immer chronologisch, Ditlevsens wenige Lebensjahrzehnte.

Frankfurter Ensemble überzeugt

Sarah Grunert ist Tove: Entschlossenheit, ihrem Ruf zu folgen, Trotz und tiefe Trauer vereinen sich bei ihr zu einem bezwingenden Rollenporträt, das die Langatmigkeit des Stücks immer wieder vergessen lässt. Faszinierender noch, wenn Grunert ihre Titelrolle verlässt, um als Spielerin der Tove facettenreich zwischen ernstem Raisonnement, Nonchalance und Ironie zu agieren.

Katharina Linder erweist Tovjes Mutter als wenig zimperlich. Mit der Titelfigur immer solidarisch verkörpert Caroline Dietrich deren beste Freundin Nadja. Auch alle weiteren Spielerinnen und Spieler tragen zur geschlossenen Ensembleleistung bei.