Foto: Zu Tisch bei Müller Antoine. © Neuburger Kammeroper
Text:Roland H. Dippel, am 27. Juli 2025
Der Verein Neuburger Kammeroper bringt zu seiner 57. und auch letzten Produktion einen Doppelabend auf die Bühne: François Auguste Gevaerts „Der Teufel von der Mühle“ und „So eine Komödie!“. Danach muss er aufgrund von Zuschusskürzungen bis auf weiteres seine Türen schließen. Die Regisseur:innen Annette und Horst Vladar bieten ihrem Publikum einen gebührenden Abschied.
Am Samstagabend war die letzte Premiere des Vereins Neuburger Kammeroper im historischen Stadttheater von Neuburg an der Donau. Eine empfindliche Lücke wird da entstehen. Denn das alljährlich zum Beginn der bayerischen Sommerferien stattfindende Opernereignis war eine der letzten Eigenproduktionen dort. In den 1970er, 1980er und 1990er Jahren und bis in die Gegenwart war die Neuburger Kammeroper international eine der ersten Adressen unbekannter Opern. Eine solche Konstellation hält nicht ewig. Für das Ehepaar Annette und Horst Vladar wurde die Kammeroper ein Lebenswerk – früher neben ihren Bühnenengagements, später im Ruhestand. Langjährige Mitarbeitende waren die Korrepetitorin Su Jin Kim, welche mit dem Ensemble die oft anspruchsvollen Partien erarbeitete, und Norbert Stork für die Choreinstudierung.
Musik mit Ohrwurmqualität
Gespielt werden zum Abschied zwei Opern des belgischen Musiktheoretikers François Auguste Gevaert. Dieser Fund ist sogar hier ungewöhnlich, weil die Neuburger Kammeroper sich zumeist auf zwischen 1750 und 1830 entstandene Werke konzentrierte. „Le diable au moulin“ (Der Teufel von der Mühle, 1859) entstand für Paris, „La Comédie à la Ville“ (So eine Komödie!) zehn Jahre früher für Gent. Die wie immer von Annette und Horst Vladar ins Deutsche übersetzten Textbücher sind Dutzendware, aber wirkungsvoll. Michele Lorenzini versetzte den „Teufel“ in ein Mühlen-Interieur mit realistisch bedruckten Holzwänden, die „Komödie“ in ein Parkparadies mit gedrucktem Panorama, Hecken zum Verstecken und Rasenteppich. Die Kostüme diesmal eher gründerzeitlich und Belle Époque als Biedermeier.
Das Ensemble will frühere Leistungen nicht übertrumpfen, sondern macht weiter wie bisher. Die Musik allerdings wirkt bestechend: „So eine Komödie!“ steht in direkter Verbindung zu Donizettis späten Pariser Komödien wie „Regimentstochter“ und „Rita“. Im „Teufel“ rekapituliert sie auf Höhe der Feinheiten der Frühwerke von Bizet und Thomas. Es gibt mehrere Stücke mit Ohrwurmqualität. Da erklingt das Landleben schon mit der filigranen Delikatesse, wie sich mondäne Großstädter das Leben in der unverdorbenen Natur vorstellten. Der „Teufel von der Mühle“ ist ein cholerischer Kerl von eleganter Gutsherrenart, den eine Frau trotzdem gern nimmt, während auch Diener und Dienerin zusammenkommen. In „So eine Komödie!“ geben sich zwei Schauspieler als die vom Vater zweier Schwestern ersehnten Freier aus und empfehlen sich mit dieser Maskerade als die bessere Partnerschaftsoption. All das wird in schönen Musiknummern entwickelt.
Zeitgemäße Nostalgie
Das substanzreiche Ensemble stände auch für die kommenden Jahre bereit. Mit Stephan Hönig hat Horst Vladar einen idealen Nachfolger für das Väter-Fach gefunden. Der Tenor Karol Bettley liefert sich mit dem Bariton Gabriel Goebel ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen um die Gunst des Publikums. Die Sopranistinnen Elisabeth Zeiler und Sarah-Léna Winterberg wären bei Besetzungen im – wie man früher sagte – ersten und zweiten Fach bestens austauschbar. Das Quintett klingt in den Ensemblestellen gut zusammen. Alle sind Persönlichkeiten, welche den nostalgischen Schmelz der Inszenierungen so bedienen wie die Erwartung an eine ehrliche wie zeitgemäße Darstellung der vormodernen Konflikte.
Wegen Erkrankung konnte Alois Rottenaicher nicht mitwirken. Für ihn trat Georg Hermansdorfer, ein im Raum Rosenheim selbst aktiver Opernarchäologe, ans Pult und führte die Mitglieder des Akademischen Orchesterverbandes München im tief gelegenen Graben durch die nicht einfachen Partituren. An eine historisch informierte Aufführungsform ist bei der nur knappen Probenzeit nicht zu denken.
Authentisch informierte Aufführungspraxis
Die Neuburger Kammeroper betrieb eine historische Aufführungspraxis der besonderen Art. Andere Ensembles präsentierten in Bemühung um Originalklang Hybridaufführungen, wie es diese zur Entstehungszeit der Werke nie gegeben hatte. Allein schon, weil vor Wagner während der Vorstellungen geredet und getafelt wurde und fast bei jeder Einstudierung von Opern eine eigene Fassung gespielt wurde. Bei der Neuburger Kammeroper ähnelten sich die Vorstellungen wie an einem Residenz- oder Stadttheater im 19. Jahrhundert. Für das Publikum war so gut wie alles neu – und kein bekanntes Repertoire wie heute. Die Spielform war nicht analytisch und auf eine zutiefst sympathische konventionell. Die Bühne wurde einfach, wirkungsvoll und realitätsnah gestaltet – Kostüme kommen aus einem liebevoll gepflegten Fundus.
Mit herzlicher Ironie gab es in Neuburg noch parfümierte Liebhaber, verschmitzte Diener, kapriziöse Komtessen und altersweise Diener. Sicher Zufall: Die am wenigsten vertretenen Partienfächer von früher waren die „Komische Alte“ oder „Salondame“, was mit der Entscheidung für die Stücke zusammenhing. Auch Counterstimmen und Koloratur-Mezzosoprane gab es nicht. Was man an der Neuburger Kammeroper erleben konnte, war eine besonders realistische, aber ungeschönte historisch informierte Aufführungspraxis, die man in Ermangelung eines anderen Begriffs eine „authentisch informierte Aufführungspraxis“ nennen könnte. Das Wort „Opernmuseum“ in wertschätzender Nennung traf auf zwei Ebenen zu: in der Stückwahl und in der Aufführungsform, die seit den 1980ern zunehmend anachronistisch wurde und gerade deshalb authentisch blieb.
Besonderes Schmuckstück
In 57 Jahren schnurrten Vladars Inszenierungen wie ein Uhrwerk ab. Es ging immer mehr um eine retrorealistische, auch pragmatisch betriebene Theatermagie als um scharfe Zeitkritik aus Perspektive von heute. Trotzdem wurde vom Publikum auch in den Gevaert-Einaktern verstanden, dass hinter den von den Vätern angestrengten Zweckheiraten nicht nur Autorität steckt, sondern auch Sorge für eine Zukunft ihrer Töchter.
Bei der Neuburger Kammeroper gab es keine Übertitel und keine Werkeinführungen. Trotzdem blieb der Publikumszulauf über die Jahre stabil. Auch deshalb ist dieses Unternehmen ein originelles Unikat. Die Vereinsspitze hat für das erste August-Wochenende viele Ehemalige und zum Gelingen unverzichtbare Ehrenamtliche eingeladen. Ein Ehrenplatz in der Geschichte des bayerischen Musiktheaters ist der mit 57 Jahren bemerkenswert ausdauernden Neuburger Kammeroper sicher.