Szene mit Michaela Klamminger.

Flotte Beiboote

Tony Kushner: Tiny Kushner

Theater:Nationaltheater Mannheim, Premiere:15.06.2012 (DSE)Regie:Nicole Schneiderbauer/Robert Teufel

Bei Tony Kushner lodert das Fegefeuer des Selbstzweifels entweder auf dem Mond, bei rebellischen Steuerhinterziehern, den ewig Gestrigen mit faschistoidem Gedankengut oder während therapeutischer Sitzungen. Der amerikanische Dramatiker, dessen Stück „Engel in Amerika“ in den 1990er Jahre auf vielen deutschen Bühnen gespielt wurde, dann aber etwas in Vergessenheit geriet, interessiert sich für (homosexuelle) Großstadt-Neurotiker im Minenfeld zeit- und sozialgeschichtlicher Kämpfe. Das ist auch in den fünf Monodramen so, die nun unter dem Sammeltitel „Tiny Kushner“ von Nicole Schneiderbauer und Robert Teufel im Studio des Nationaltheaters Mannheim in Szene gesetzt wurden. Die beiden Regieassistenten beweisen bei dieser Deutschsprachigen Erstaufführung das richtige Gespür für einen Balanceakt zwischen Symbolismus und Realismus; und die sechs Vollblut-Schauspieler Almut Henkel, Michaela Klamminger, Martin Aselmann, Jacques Malan, Sven Prietz und Sascha Tuxhorn geben den intellektuell geschliffenen Petitessen eine erstaunliche Leuchtkraft. Dialogstark und doppelbödig, wie sie sind, erinnern sie immer ein bisschen an Woody Allen.

Alle Texte haben einen realen Hintergrund und spiegeln in verzerrter Manier Episoden der US-amerikanischen Zeitgeschichte: von der märchenhaften Begegnung der Showbizz-Größe Lucia Pamela mit der letzten Königin von Albanien auf dem Erdtrabanten über den Watergate-Präsidenten Nixon und dessen deutsch-jüdischen Therapeuten Hutschnecker bis zur Konfrontation der einstigen amerikanischen First Lady Laura Bush mit den toten Kindern des Irak-Kriegs. Dazwischen tummeln sich Steuer-Rebellen mit rechtsradikaler Gesinnung und in psychische Schieflage geratene Homosexuelle, die ihren Disput passenderweise mit den Worten „Probleme, Probleme“ beenden.

In typischer Kushner-Manier wird dabei das Private mit der großen Politik verquickt, und auf einmal tun sich auch Verbindungslinien zwischen den Zwei- bis Mehrpersonen-Stückchen auf, sei es durch die psychotherapeutische Aspekte oder die rechtsradikalen Sympathien einzelner Protagonisten. Es spannt sich sogar ein Bogen von der ersten zur letzten Episode, da die mit dem Faschismus sympathisierende letzte Albanier-Königin Geraldine über mehrere Ecken tatsächlich mit dem Politiker-Clan der Bushs verwandt war.

Kushner entfesselt mit seinen Kleinigkeiten eine ziemlich Wüste, aber beeindruckende Gerölllawine, zu der die schlichte Mondlandschaft von Linda Johnkes Einheitsbühnenbild passt. Entstanden sind die Monodramen als Zeitungs- oder Magazin-Beiträge oder als (nicht realisiertes) TV-Skript. In Mannheim schippern sie wie fünf flotte Beiboote um die kapitalismuskritische Familienschlacht mit dem Bandwurmtitel „Ratgeber für den intelligenten Homosexuellen zu Kapitalismus und Sozialismus mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“, die Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski zu Jahresbeginn auf die Bühne gebracht hat, ebenfalls als Deutschsprachige Erstaufführung.