Zum Auftakt des zweiten Teils, des Beginns der Trilogie des Aischylos, gibt es noch einmal eine Fernsehszene, die gar nicht so sehr zum Blick auf Bildschirme und die Projektion auf die Türe in der Mitte der Glaswand einlädt, sondern die Verbindung von Herrscherfamilie und Öffentlichkeit in unsere Gegenwart transportiert. Klytaimnestra begrüßt den müden Helden und Gatten mit von Trauer getrübten Worten, Agamemnon versucht öffentlich Haltung zu wahren. Der Mord an ihm und seiner Kriegsbeute Kassandra – Therese Dörr trägt ein gelbes Kleid, das an Iphigenie erinnert – läuft eher geschäftsmäßig und automatisch ab. Aigisth tritt erst später auf, von Matthias Leja gespielt und von Tochter Elektra (Anne-Marie Lux) als Vater angesehen; auch Iphigenie geistert immer wieder über die Bühne. Der tote Agamemnon mutiert beinah zum Vater Hamlets, der rächende Gerechtigkeit fordert. Im Zentrum steht nun auch der Hamlet-gleich verwirrte Orest (Peer Oscar Musinowski); von Anfang an tauchten er und die Psychotherapeutin (Marietta Meguid) vorne auf der Bühne auf und rahmen das Spiel als therapeutischen Rückblick des Patienten. Und nun spielt der Sohn des Hauses sich selbst, wird vom hysterischen Patienten zum Muttermörder und schließlich zum Angeklagten eines Gerichtsprozesses im Finale, dem dritten Teil dieser „Orestie“. Das ist dramaturgisch nicht sonderlich schlüssig, wenn die Ärztin zur Anklägerin wird, aber auch darstellerisch geht Musinowski die Präzision der Darsteller aus den ersten Szenen ab. Auch Michael Stiller als Menelaos und Felix Strobel als Berater Talthybios sind in den Szenen um den Tod Iphigenies herum wesentlich überzeugender als später in der Rolle von Verteidigern vor einem dubiosen Gericht mit Richterin Athene (Therese Dörr) hinter Glasscheiben. Paula Skorupa erledigt die eher undankbare Aufgabe Filmerin, Gerichtsdienerin und Pausenansagerin und somit eine Art Chorersatz zu sein, mit Bravour, indem sie eine bedeutungsvolle Ruhe in ihr Spiel legt. Das Publikum wird schließlich zur Abstimmung über den Mörder Orest gebeten; diese Öffnung des anfangs hermetischen Spiels, ist, wenn auch über das strikte Timing der zwei Pausen eine Publikumsbeteiligung schon angedeutet wird, nicht sonderlich überzeugend. Orest ist am Ende freigesprochen, wird aber vor dem Bild der toten Familie womöglich von sich aus noch den Freitod wählen.
Über die zunächst grandios inszenierte Familientragödie hinaus hat diese „Orestie“ wenig zu erzählen über den Stand unseres Gemeinwesens. Die Einsicht des Chores, dass Tun, Leiden und Lernen zusammengehören in dieser Welt, wird zwar immer wieder von Familienmitgliedern geäußert, über das Konstatieren einer verzwickten persönlichen Situation führt das aber nicht hinaus.