Foto: Begehrt, ja umzingelt: Marie Smolka als Marilyn © Astrid Karger
Text:Konstanze Führlbeck, am 9. Februar 2020
Marilyn Monroe – ein zum Mythos gewordener Jahrhundertstar, doch welche Persönlichkeit verbirgt sich dahinter? Auf diese Spurensuche macht sich Gavin Bryars Kammeroper „Marilyn Forever“. Das Saarländische Staatstheater Saarbrücken stellt das 2013 im kanadischen Victoria uraufgeführte Werk in der Alten Feuerwache als deutsche Erstaufführung in englischer Sprache vor.
Die Einheitsbühne von Davide Raiola zeigt einen großen dunklen Raum, links steht ein schmales Bett, darauf liegt eine Frau. Darüber ist auf einer Wand ein übergroßer grellrot geschminkter Kussmund projiziert. Dieses Bild leitet in die zentrale Fragestellung des Stückes ein: Wer ist „Marilyn Monroe“? Die Frau im weißen Kleid mit dem hellblonden lockigen Bob, ausdrucksstark und zerbrechlich zugleich dargestellt von Sopranistin Marie Smolka, ist in der 90-minütigen Kammeroper in verschiedenen Episoden zu sehen, die ihr Leben reflektieren.
Regisseurin Barbara Schöne stellt sie als Dreh- und Angelpunkt eines komplexen Beziehungsgeflechts in den Raum. Als inszenierte Kunstfigur, die den Erwartungen der anderen an sie entsprechen muss, wird sie von den Tritonen (Timo Verse, Chadi Yakoub, Nils Hollendieck, Lukas Eder)„umzingelt“, die in einer stilisierten, durchchoreographierten Abstraktion abwechselnd die Gestalt von Fans, Paparazzi, Ärzten oder Agenten annehmen können. Ihr Verhalten reflektiert das Leben von „Marilyn“ ebenso wie die diversen Spiegel, die sie immer wieder mit ihrem Selbst konfrontieren, das sie aber auch in Gestalt ihres stummen Alter Ego begleitet, dem netten Mädchen Norma Jeane von nebenan mit den schulterlangen braunen Locken. An der Frage, wer dieses Selbst eigentlich ist, zerbricht sie schließlich. Ihre Selbstzerstörung durch Alkohol und Tabletten mündet in einen Teufelskreis.
Immer ist sie Teil einer Show; selbst intime Szenen gleiten unmerklich in eine Inszenierung über, in der sie sich in der Wahrnehmung der anderen wiederfindet. Diese komplexe, nicht-lineare Dramaturgie will nicht die Biographie Marilyn Monroes nachzeichnen. Barbara Schöne setzt sie durch eine intelligente, sehr reflektierte Personenführung um, in der sich verschiedene Realitätsebenen überlagern. Bezüge zur antiken Tragödie, die den Hauptdarsteller mit dem Kommentar eines Chores konfrontierte, werden hier ebenfalls erkennbar.
Das wird auch durch die musikalische Struktur der Kammeroper deutlich, in der Gavin Bryars das hinter einem durchsichtigen Vorhang auf der Bühne platzierte Orchester unter Leitung von Stefan Neubert als zweiten Protagonisten zu Wort kommen lässt. In freier Tonalität entfaltet sich im Orchester ein ununterbrochen flutender „stream of consciousness“, die verborgenen Gedanken und Gefühle Marilyns kommen hier zum Ausdruck. So passt die Positionierung des Orchesters auf der Bühne stimmig in das Regiekonzept – als musikalische Konfrontation der Titelfigur mit ihren eigenen Gedanken und Gefühlen.
Im Klangbild dominiert die nuancenreiche, doch meist dunkle Klangfarbenpalette der Streicher. Sie wirft mit ihrer oft bedrückenden Grundstimmung düstere Schatten auf Marilyns Seelenzustand. Lichtblicke in diesem Klangpanorama sind Jazzzitate, die vor allem im Spiel von Tenorsaxofonist Thomas Girard erfrischende Impulse setzen. Gavin Bryars sehr authentische Tonsprache integriert auch andere Stilzitate, zum Beispiel durch die Verwendung von Formen alter Musik. Immer wieder blitzen kontrapunktische Techniken im Verhältnis der Stimmführung von Protagonistin und Orchester durch, die an kunstvolle Stimmverschränkungen in Fugen erinnern. Und Stefan Neuberts Dirigat gibt sowohl seinem Kammerorchester Raum zur Entfaltung als auch Sopranistin Marie Smolka, deren darstellerischer wie stimmlicher Facettenreichtum eine faszinierende Charakterstudie lebendig werden lassen.