Foto: Emma Kate Tilson (Titania) und Jamal Callender (Oberon) © Hans-Jörg Michel
Text:Ulrike Kolter, am 18. November 2016
Dieser „Sommernachtstraum“ als abendfüllendes Tanzstück ist ein künstlerisch vollends geglückter Coup – und der gebührende Einstand von Stephan Thoss als neuer Intendant Tanz und Chefchoreograf am Nationaltheater Mannheim. Anders als in Wiesbaden, wo sich 2007 zu Beginn seiner Ballettdirektion am Hessischen Staatstheater das ballettgeprägte Publikum murrend und mühsam an Thoss’ Stil gewöhnen musste, wurde der gebürtige Leipziger und Palucca-Absolvent in Mannheim bereits nach seiner ersten Uraufführung euphorisch gefeiert.
Shakespeares Komödie ist in Thoss’ Tanzversion wahrlich zu einer runden Sache geworden: mit dramaturgisch kluger Musikauswahl, einer die Sinne fordernden Bewegungsdichte und einer guten Portion humoristischer Elemente. Dazu der (im Tanz ja leider keineswegs selbstverständliche) Einsatz des Nationaltheater-Orchesters unter Leitung von Kapellmeister Wolfgang Wengenroth und der wunderbaren Idee des Choreografen, die Rolle des Waldgeistes Puck mit einem Countertenor statt einem Tänzer zu besetzen, wohl um dessen Sonderstellung im wirren Treiben zwischen Liebenden, Herrschenden, Feen und Handwerkern zu betonen. Im düsteren Bühnenbild von Kaspar Zwimpfer ist der Shakespearsche Zauberwald präsent, wenn auch nicht realistisch: in drehbaren, grünlich-transparenten Wänden, Laubfeldern auf dem Boden, oder hoch oben hängenden Bühnenprospekten mit überdimensional aufgemalten Zweigen.
Puck, der aus dem Mainzer Ensemble eingekaufte Rumäne Alin Deleanu, ist ein Glücksfall und preisverdächtiger Sängerdarstellertänzer. Während er das Geschehen mit Arien von Henry Purcell kommentiert (etwa „Man is for the woman made“ aus „The Mock Marriage“), tänzelt er filigran und bauchfrei um die Liebenden herum, dirigiert mit winzigen Fingergesten die komplette Feentruppe nach seinem Willen, und lässt sich – ganz wankelmütiger Waldgeist – doch gleich wieder von Oberon herumkommandieren. Köstlich auch, wie sich der zarte Counter neben den muskelbepackten Oberon (pathetisch: Jamal Rashann Callender) stellt, und dessen heroisch verschränkte Arme vergeblich zu kopieren versucht.
Tauchen später die Handwerker besenbewaffnet in grünen Latzhosen auf, um tollpatschig tanzend Plakate zu kleben, beobachtet Puck sie amüsiert, klettert dort einen baumähnlichen Scheinwerferturm hoch, sitzt hier auf einer der herumstehenden Tonnen und baumelt mit den nackten Füßen. Diese sängerische Ebene fügt sich wohl nur deshalb nahtlos in die Choreografie, weil der begnadete Altus Alin Deleanu so tänzerisch agiert.
Neben Purcell erklingen Werke des britischen Zeitgenossen Joby Talbot, der auch Komponist von Christopher Wheeldons 2011 in London uraufgeführtem Auftragswerk „Alice’s Adventures in Wonderland“ ist (das nebenbei bemerkt im April 2017 ans Bayerische Staatsballett geht). Talbots expressive, vor allem filmmusikbewährte Komposition eignet sich hervorragend, um die tänzerisch dichten Ensembleszenen der Feenwelt zu untermalen, in denen jene geheimnisvoll in bläulich-befederten Ganzkörperanzügen sich auf dem Boden winden, kriechen oder ein Knäuel bilden.
Als dritter britischer Komponisten des Abends dient Benjamin Britten: Dessen bewährte Ballettmusiken erklingen überwiegend zu den bekannten Liebes- und Eifersuchtswirren der vier Paare. Stephan Thoss gestaltet diese ausdruckstanzstark und individuell, vor allem Emma Kate Tilson als Titania überzeugt, wenn sie Oberon im Liebeszweikampf mit der flachen Hand den Kopf zu Boden drückt. Oder Chiara dal Borgo als verschmähte Helena, die von Demetrius (David Lukas Hemm) eiskalt weggeschleudert wird, und trotzdem nicht nachlässt im Versuch, unter ihn zurückzukriechen.
Stephan Thoss hat vor Spielzeitbeginn selbst kräftig mit angepackt, um die Probebühne der Compagnie im nicht ganz zentralen Tanzhaus Käfertal zu einer eigenen kleinen Spielstätte umzubauen. Hat eine gebrauchte Küchenzeile herbeigekarrt, bei Ebay einen Kühlschrank ersteigert und selbst die Decke mit gestrichen. Es soll dort ein „Raum der Begegnung“ entstehen, den der neue Tanzchef ab 15. Dezember mit „Christmas around the world“ erstmals als regulären Spielort nutzen wird. Die Zeichen stehen also gut, dass sich die von „Ballett“ in „Tanz“ umgetaufte Sparte in Mannheim weiter so gut einfindet.
Neben mir im Publikum saß zur Premiere ein langjähriger Mannheimer Ballettfan, der schon bestens Bescheid wusste über „den Stephan“ und seine Pläne, und der beim Abklingen des Applauses meinte, diesen Abend müsse man ja dringend noch öfter sehen, so detailreich sei er gewesen. Na, wenn das kein guter Start ist.