Szene aus "Mein Lieblingstier heißt Winter"

Es schlürft der Abend in den Tod

Ferdinand Schmalz: Mein Lieblingstier heißt Winter

Theater:Frankfurter Schauspiel, Premiere:26.03.2023 (UA)Vorlage:nach dem gleichnamigen RomanRegie:Rieke SüßkowKomponist(in):Max Windisch-Spoerk

Schmattttzzzzz! Niieeeeerrr! Riiiinnnngggg! – Wie in einem Comic muten alle Geräusche in der Uraufführung von Ferdinand Schmalz‘ „Mein Lieblingstier heisst Winter“ am Schauspiel Frankfurt an. Doch nicht nur die aus dem Off generierte Klangkulisse erinnert an einen schrillen Streifen, auch die Art der Darstellung greift die Machart des bunten Superhelden-Mediums auf, wird doch die Handlung von einer auf der Bühnen präsenten Erzählerin (Kathatina Linder) entfaltet. Einerseits trägt sie vor, was die Figuren tun, andererseits vermögen ihre geradezu magischen Hände die Rondellbühne (Kulisse: Marlene Lockemann), versehen mit sechs Schaukästen zu, drehen. Was wir darin sehen, kann man als absurd-komisches Nicht-Spiel bezeichnen: Mit Ausnahme weniger Gesten und mit zumeist verzerrter Mimik sind die Rollenträger:innen (darunter: Stefan Graf, Wolfgang Vogler, Tanja Merlin Graf) eingefroren. Wenn sie sich dann einmal bewegen, wirkt es zackig und unbeholfen, bevor sie ohnehin wieder in skurrilen Verrenkungspositionen erstarren.

Das hat Witz und Charme und fügt sich überdies in die Konzeption einer Krimiparodie. Sie nimmt ihren seltsamen Anfang im Wunsch des Dr. Schauer, den eigenen Tod selbst gestalten zu wollen. Um Hilfe bittet er dafür den Tiefkühlkostvertreter Franz Schlicht. Als dieser jedoch den Termin des Suizids verpasst und den Körper seines, nun ja, ehemaligen Kunden nicht finden kann, beginnt eine holprige Ermittlungstour. Sie führt den Protagonisten in politische Kreise und nebenbei zurück in die eigene Vergangenheit als Betrüger.

In Leichenstarre

Mit einer auch sprachlich verqueren Syntax zeigt Schmalz in seinem nun bühnentechnisch realisierten Romandebüts ein großes, schwarzhumoriges Projekt des Scheiterns. Wie er Binsen und Illusionen über den Tod dekonstruiert und zunächst jedwede plausiblen Aufklärungsversuche an die Wand fahren lässt, so zerpflückt Regisseurin Rike Süßkow sämtliche bereits im Text ironisch angelegten Stereotypien. Neben den typischen Jagdmotiven wie dem Hirschgeweih und dem Rehragout, die auf der Bühne allpräsent sind, überzeichnet sie Szenen in der Pathologie oder der Spelunke „Gittys Eck“. Kau-, Schleck- und Schlürfgeräusche inklusive! Schließlich gehören doch gerade sie zum Ekelinventar des klassischen Splatter- und Horrorgenres. Und auch für die Anwesenheit der längst ausgestorbenen Dinosaurier ist gesorgt. Sie, im Speziellen der mehrfach zu sehende Triceratops, wollten im Gegensatz zu Dr. Schauer einstmals nicht freiwillig abtreten. Da es ja immer um den Tod geht, unterlegt Süßkow die Wechsel zwischen den Spielorten ferner mit Ausschnitten aus verschiedenen Requiems.

Zweifellos markiert dieses musikalische Pathos die Fallhöhe jenes radikalen und gewiss wagemutigen Regieansatzes. Obgleich er im ersten Viertel des Abends für Verblüffung und reichlich Komik sorgt, gerät die Drehbühne allerdings bald schon buchstäblich in einen Leerlauf. Die Festgestelltheit der Figuren erscheint dann nicht mehr als Joke oder gar Anspielung auf den alles in Ruhe versetzenden Tod, sondern zunehmend als selbst auferlegtes Korsett. Es bremst die Dynamik von Text und Aufführung sichtlich aus. Dann zündet nicht einmal mehr der Slapstick richtig. Und gab es überhaupt sonst noch etwas? Ach ja, die Auseinandersetzung mit dem Sterben. Auch sie verläuft abseits lediglich angeschnittener Grundsatzfragen irgendwie im Nichts. So bleibt ein wenig Vergnügen und Überraschungskitzel – sowie mithin das Wissen, dass das Schauspiel Frankfurt ansonsten noch mehr Tiefenschichten zu bieten hat.