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Eros-Wrestling und Prügel-Gemüse

Gioacchino Rossini: Die Italienerin in Algier

Theater:Staatstheater Nürnberg, Premiere:21.01.2017Regie:Laura ScozziMusikalische Leitung:Guido Johannes Rumstadt

Gioacchino Rossinis Oper „Die Italienerin in Algier“ beginnt in Nürnberg überraschend in Großaufnahmen, mit geschwollenen Augen und blutigen Nasen eines streitsüchtigen Liebespaares. Schön deutlich in den Farben auf den großen Zwischenvorhang projiziert. Danach stürzt sich das prügelnde Trauma-Duo live mit wechselnder Bewaffnung und gelegentlichen Ansätzen zur  Horizontal-Versöhnung durch die Rest-Ouvertüre und kommt immer mal wieder für eine Runde Eros-Wrestling vorbei. Aber irgendwas stimmt nicht mit dieser artistisch gewalttätigen „Männerphantasie“. Der treulose Herrscher von Algier, um dessen subtilen Sexbedarf weit jenseits ehelicher Pflichten es hier geht, wird nämlich wenige Szenen später vor Wonne seufzen, wenn ihm die gewaltsam erkorene Favoritin vom Küchenpersonal klatschende Maulschellen verpasst und mit einem reichhaltigen Sortiment von phallischem Gemüse, quasi biologisch abbaubar, auf ihn einschlägt. Der Herr, der für sein Ego das eigene Gesicht im ständig flimmernden „Algier TV“ braucht und schon zum Lunch eine Table-Dancerin als Beilage bestellt, ist praktizierender Masochist. Dem Manne kann geholfen werden. Knapp drei Stunden später, ganz am Ende der Aufführung, wird ein herzhafter Tritt der betrogenen Gattin in seinen Unterleib die Weltordnung für einen Aua-Moment wieder herstellen. Regisseurin Laura Scozzi will es so. Sie fand im bekennend sinnfreien, übermütigen Slapstick-Meisterstück des jungen Rossini, das sonst gern als  bunt verpackter Zusammenstoß von Vermutungen über Weltkulturen gespielt wird, ihren Stoff für schrille Emanzipations-Fanfaren. Alles so schön aktuell, scheint sie sagen zu wollen.

Zunächst baut die Inszenierung auf einen verblüffenden Einfall: Das Migranten-Thema wird lässig umgedreht und man sieht europäische Wirtschaftsflüchtlige (der Herren-Chor, sonst Roomboy-Kollektiv mit Staubsauger, wird zur Schlepperbande) auf Job-Suche im Nahen Osten. Auch Isabella, die „Italienerin“, kommt mit Koffer übers Flüchtlingsheim und, algerische Jobcenter scheinen vorbildlich zu funktionieren, schon am nächsten Tag watscht sie als Küchenchefin den grapschenden Dienstherrn ab. Ihr Domina-Auftritt folgt im nächsten Karriereschritt. Es geht um Mustafà, der seine langweilige Haupt-Frau gegen italienisches Import-Temperament austauschen will. Hier ist er kein alternder Bassisten-Zausel aus der Ablage der Buffo-Oper, sondern der röhrende Playboy aus der aktuellen Oberschicht, der die Dauer-Party im Luxus-Bungalow (Bühnenbildnerin Natacha Le Guen de Kerneizon montiert auf laufender Drehbühne mehrere Action-Räume aus Kulissenteilen) am liebsten nur für Fesselspiele im Schlafzimmer verlässt. Die „Erotiktänzerin“, die im Salon immer so hastig ihre beiden Textil-Andeutungen ablegt, kann ihn wohl nicht mehr überraschen. So wenig wie die ganz nach Bedarf parodistisch oder voyeuristisch konsumierbare Dessous-Parade des luftig tänzelnden Damen-Sextetts, die dem weithin unterschätzten Opernglas wieder Bedeutung geben könnte.

Allerdings hat Laura Scozzi für die Escort-Damen den Befreiungsschlag eingebaut, denn sie drehen plötzlich den Spieß um, fallen einzeln über ihren Kavalier her und bewerfen ihn mit den Geldscheinen, die er sonst so gerne als harte Währung der eigenen Macht verteilt. Netter Gedanke, da hat die Regie den vorherigen mit der Migranten-Umkehr allerdings bereits vergessen.

Kurzum, es wird niemand der verstaubten ambitionsfreien Opernhandlung nachweinen, aber mit der neuen anspruchsvollen Interpretation ist auch nichts gewonnen. Für die musikalische Seite sowieso nicht. Dirigent Guido Johannes Rumstadt lässt sich von den szenischen Reizfluten überspülen, wo er die klingende Komik wie einen Damm zum schäumenden Aufprall der Emotionen bauen könnte. Seinem sängerfreundlich diskreten, aber sehr pauschal geradeaus gelenkten Rossini-Sound fehlt der kantige Schliff, die feinmechanische Dynamik der Komposition, die Explosivität der kleinen Geste. Selbst beim Finale des ersten Akts, wo die totale Konfusion aller Beteiligten mit atemberaubender Raffinesse wie eine vorweggenommene Dadaisten-Orgie notiert ist, versickert die Anarchie im Triumph der Unfallfreiheit.

Die Solisten jonglieren gekonnt mit den Comedy-Schablonen der Regie, sie fürchten weder Gags noch Unterhosen. Ida Aldrian als resolut dreinschlagende Isabella aus Italien mit hübschen Mezzo-Kapriolen und Ina Yoshikawa, die als unterdrückte Ehe-Altlast Elvira den Tiefschlag ins Macho-Zentrum mit Sopran-Gezwitscher erlernt, kosten die süffige Dramatik  der Koloraturen aus. Bei den Herren kämpfen Marcell Bakonyi (Mustafà) und Martin Platz (Lindoro) tapfer mit der vokalen Artistik. Der Herren-Chor imponiert mit seinen fliegenden Rollen-Wechseln, er singt arbeitgeberfreundlich „Eine Frau ist zur Sklavin geboren“, steigt in Rocker-Kluft um, macht ein wenig Antiken-Chor, wiegt sich im Takt und flieht dann unter eindeutig weiblicher Autorität massenhaft zurück in die Heimat zu den Freunden der italienischen Oper. Da bleibt Mustafà in tiefer Sorge um seine Männlichkeit allein zuhaus, die Erotiktänzerin wird`s schon richten.

Das Premierenpublikum fand es irgendwie ganz lustig.