Die Rheintöchter im „Rheingold“ bei den Tiroler Festspielen in Erl

Erkaltete Emotionen

Richard Wagner: Das Rheingold

Theater:Tiroler Festspiele Erl, Premiere:10.07.2021Regie:Brigitte FassbaenderMusikalische Leitung:Erik Nielsen

Es klingt wenig magisch und faszinierend, nicht düster und doch imposant: Das Orchester der Tiroler Festspiele Erl sitzt – mitsamt den von Wagner für den Einzug der Götter in Walhall geforderten sechs Harfen – hinter Projektionsleinwänden, auf denen die Videokünstlerin Bibi Abel Wasseroberflächen kristallscharf reflektieren lässt und man in der dunkel projizierten Berglandschaft vielleicht doch die Inntaler Alpen erkennen soll. Beim Regenbogen bleibt aufgrund der EM-Begleitumstände das Schmunzeln nicht aus, zumal die seligen Götter ihren wonnigen Hausrat selbst in das sündteure Bauprojekt Walhall schleppen. Denn bei Richard Wagner verheißen Rainbow Colours eine nur trügerische, aber keine echte Harmonie. Bekanntermaßen ist der Vorabend zum „Ring des Nibelungen“ das in den letzten Jahren gern komödiantisch akzentuierte Startsignal zu noch bösartigeren Verstrickungen, durch welche die Welt erst in die totale Korruption und dann in eine ökologische Säuberungsaktion durch Wasser und Feuer getrieben wird.

Warum das so sein muss, erlebt man in Erl, nach der Wiener Staatsoper Österreichs wichtigster Wagner-Hotspot, mit überlegter Deutlichkeit. In sich ruhend nimmt der mit dem gleichen Stück an der Bayerischen Staatsoper eingesprungene Erik Nielsen mit dem bestens disponierten Orchester der Tiroler Festspiele den Es-Dur-Beginn und steigert das protzige Ende zur strukturierten Lärmorgie. Das Spielgeschehen findet im Passionsspielhaus vor dem Orchester statt. Sängerstimmen werden nur an dramatisch zutreffenden Stellen überdeckt. Die Übereinstimmung von Stimmen und Orchester war optimal wie Kaspar Glarners fashionable Kostümschnitte mit allegorisch sinnfälliger, aber nicht platter Farbgebung.

Brigitte Fassbaender inszeniert ihren ersten „Ring“. Auch der durch die dichte Rezeptions- und Bedeutungsgeschichte aufgeladenen Tetralogie nähert sie sich bescheiden und genau. Das Gold der attraktiven Rheintöchter, die Alberich mit schon sadistischer Enthemmung zusetzen, ist hochwertiges Bankett-Geschirr für Tafelfreuden von Luxusgeschöpfen ohne Herrenbegleitung. Damit setzt Fassbaender Überlegungen wie eine lange Reihe fallender Dominosteine in Gang. Wie ist das mit dem Tand, den die Nibelungen vor ihrer kapitalistischen Versklavung zweckfrei für ihre Frauen schmiedeten? Sind die Göttinnen der behaupteten Führungsspitze wirklich so unbeteiligt am Macht- und Finanzschlamassel, wie Fricka (Dshamilja Kaiser verhärmt im fliederfarbenen Kostüm) das behauptet? Fassbaender macht mit nicht zu vielen Details das große Ganze verständlicher, aber deshalb nicht einfacher. Hier prägt sich ein, wie kräftig Loge (Ian Koziara weitaus glanzvoller als im Frankfurter „Fernen Klang“) insistiert, den von Alberich gebauten (Schlag-)Ring den Rheintöchtern zurückzugeben. Der von den anderen lichtalbischen Eliten ziemlich übel mitgespielten Fruchtbarkeitsgöttin Freia (Monika Buczkowska) gefällt es beim kräftig zupackenden Fasolt (sympathisch: Thomas Faulkner) zunehmend besser. Bodenständig gibt sich der baumhohe Bergbauwichtel Mime (George Vincent Humphrey). Der Kanzonen-Bomber Froh ist ein Fashion Victim (Brian Michael Moore) und der mit zwei Hämmern operierende Donner ein bisschen Heavy Metal (Manuel Walser). Walvater Wotan (Simon Bailey) singt mit der ruhigen Souveränität eines Politstrategen und hat eine Sammlung von mehreren Speeren, was für die rechtliche Auslegung seiner Vertragsgestaltungen mehrere Nadelöhr-Schlupflöcher offenlässt. Wer mag, kann in dem klar gestalteten Katastrophen-Disput noch mehr Analogien zu Jamaica- oder Ibiza-Allianzen entdecken. Ist aber kein Muss.

Fassbaender entlässt das am Ende lautstark jubelnde Premierenpublikum mit einigen Fragen. Wie kommt es, dass ausgerechnet die Naturwesen Erda (mütterliche Zeremonienmeisterin: Judita Nagyová) und die stimmkräftigen Rheintöchter (Ilia Staple, Florence Losseau, Katharina Magiera) am ehesten die Protokolle erfüllen? Ein großes Herz hat Fassbaender für den Golddieb: Craig Colclough ist keineswegs so widerborstig schlecht wie Wagners Ausführungen über die Figur und gestaltet seinen Part mit einem erstaunlichen Farbfluss von vokalen Galanteriewaren bis zum Fluch. Nur der Brudermörder Fafner (Anthony Robin Schneider) bleibt in dieser bunten Versammlung etwas unterbelichtet.

Aufgrund der wenigen bühnentechnischen Möglichkeiten entfallen im Erler Passionsspielhaus einige beim „Ring“ liebgewordene dekorative Taschenspielertricks bei den offenen Verwandlungen von den freien Bergeshöhen in Nibelheims Nacht und zurück. Die trotz weniger Sekunden immer erinnerlichen Ambossschläge geraten weniger eindrucksvoll als andernorts. Trotzdem kann man sich aufgrund der erarbeiteten Genauigkeit auf die nächsten „Ring“-Teile freuen. Das Verhaltensspektrum der Figuren ist subtil aufgefächert. Fricka wird von der Sehnsucht nach emotionaler Nähe ebenso umgetrieben wie der in Hinblick auf Kontaktanbahnung etwas ungeschulte Fasolt und der von den Rheintöchtern für sein Werben maßlos übertrieben sanktionierte Alberich. Mit intensiven Farben und brillanter musikalischer Konversationshaltung ist das ein „Ring“-Vorabend der erkalteten Emotionen, die den Klimawandel beschleunigen. Es wird spannend, wie es zwischen explosiven Attacken und sachlicher Objektivierung weitergeht.