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Endlich massenkompatibel

Gregor Seyffert: Wagner reloaded

Theater:Leipzig Arena, Premiere:05.07.2013Regie:Gregor Seyffert

Es ist als großes Cross-Genre-Spektakel angekündigt und ein solches wird es dann auch. Zum 200. Wagner-Geburtstag füllt Tänzer, Choreograph, Company-Chef Gregor Seyffert die überhitzte Leipzig-Arena, bringt über 130 Mitwirkende auf die Bühne, führt MDR-Sinfonieorchester unter Christian Järvi, MDR-Rundfunkchor unter William Spaulding und die Cello-Rocker von Apocalyptica mit Ballett, Straßentheater und Videoinstallationen zusammen, um dem großen Sohn der Stadt zu huldigen. „Wagner Reloaded“ heißt das Spektakel, sphärische Klänge gibt es zur Eröffnung, der Chor darf immer wieder kurz hineinsingen, bis nach etwas endlosen Minuten ein riesiger Kindskopf enthüllt wird, der sich rasch und mit ein paar Zaubertricks zum erwachsenen Mann entwickelt. Biografisch ist das Stück angelegt, Wagners Lebensweg von der Geburt über die aufregende Seeflucht nach London, sein Intermezzo in Sachsen mit der Flucht in die Schweiz, sein Ankommen in Bayern einschließlich Begegnung mit König Ludwig und der Totentanz in Venedig werden mit teils klischeehaften Bildern – eine venezianische Gondel als Sarg, um nur ein Beispiel zu nennen – nachgezeichnet. Ein Ende ist mit dem Tod noch nicht gefunden, ein klein wenig Rezeptionsgeschichte mit Diktatoren darf auch noch vorkommen. Unterlegt ist die tänzerische Darstellung, bei der vor allem die präzisen Bewegungen von Oliver Preiss als Richard Wagner beeindrucken können, mit Wagner-Klängen und kraftvoll-treibenden Kompositionen von Apocalyptica, die erstaunlich oft, doch beileibe nicht immer miteinander harmonisieren. Wagners Kampf um eine neue Musik entscheidet der Walkürenritt – natürlich möchte man sagen.

Denn dieses Spektakel ist auf akustische wie optische Überwältigung angelegt: Dreimal erklingen die fanfarenartigen Waldhörner der Walküre im knapp zweistündigen Spiel – es ist Wagners bekannteste Melodie, bei der die Arena fast mitswingen kann. Dreimal stimmt Apocalyptica in diese Melodie mit ein, die dadurch recht eigentlich aber nichts gewinnt. Überwältigen will auch das Bildangebot: Da schlüpfen aus einem langen Liebesakt fünf Kinder aus dem Bett – buchstäblich. Überhaupt ist das Bett in vielerlei Abwandlungen ein sich durchziehendes Bildmotiv – es geht privat zu. Und dann werden Feuerreifen entzündet, Menschen seilen sich von der Decke ab, der Komponist hängt minutenlang als Marionette vom Dachboden, beeindruckende Maschinenmenschen – vom Theater Titanick konstruiert – werden durch die Zuschauerreihen am Bühnenrand geschoben, ein metallener Drache kämpft mit Siegfried und spuckt Feuer dabei, Kanonen dröhnen durch die Halle. Es passiert viel zu viel für ein Paar Augen und ein Paar Ohren: Beinahe scheint es, als wollte Leipzig mit „Wagner Reloaded“ die Olympiaeröffnung 2012 kompensieren, die es im Kampf ungleicher Gegner 2005 an London verloren hatte: Wagner statt Bond. Und es scheint, als sollte hier mit großen Bildern vertuscht werden, dass man der Wagner-Interpretation kaum neue Facetten hinzuzufügen hat. Das ist ein wenig bedauerlich – schließlich konnte man dank bunt zusammengewürfelten Wagner- und Apocalyptica-Fans Nerz und Netzstrumpfhose gleichermaßen erreichen. Ein zirkushaftes Spektakel bleibt es dennoch, das dank übermächtigem Angebot und sehr viel Leidenschaft bei der Premiere am 5. Juli minutenlangen Schlussapplaus kassiert: Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen – selten war es so wahr wie an diesem Abend in Leipzig.