Foto: Klaus Florian Vogt und Chor der Bayerischen Staatsoper in "Lohengrin" in München © Wilfried Hösl
Text:Joachim Lange, am 4. Dezember 2022
Ein paar kleine Freiheiten nimmt sich Kornél Mundruczó in seiner „Lohengrin“-Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper in München. Etwa die, sich bei dem zuletzt im Sommer in Bayreuth diskutierten Titel, mit dem Lohengrin den Brabantern ihren totgeglaubten neuen Herzog präsentiert, beim Wagnerschen Original zu bleiben und nicht seinen eigenen Titel eines „Schützers von Brabant“ auf Gottfried zu übertragen. Er präsentiert ihn dem staunenden Volk und der wütend verzweifelten Ortrud also als „Führer“ und nicht als „Schützer“. Wobei diese Brabanter eh nicht besonders kriegslustig daherkommen. Es hätte nicht viel in den Krieg gegen den Feind aus dem Osten zu führen gegeben.
Hier wirken die Brabanter eher wie Mitglieder einer Sekte oder Teilnehmer einer Gruppentherapie. Wie bei vielen Fachkollegen gehen sie auch bei Mundruczó am Ende allesamt zu Boden. Friedrich Telramund ist eh schon tot und mit einem blutigen Laken bedeckt. Das besondere war diesmal, das er das Opfer einer kollektiven Steinigung wurde, die Lohengrin allem Anschein nach vergeblich zu verhindern versucht hatte. Die Gruppendynamik war einfach nicht zu bremsen. Dieser kollektive Gewaltakt war möglich, da die Brautgemachsszene in aller Öffentlichkeit stattfand und so alle zu Zeugen wurden, als Elsa mit ihrer Frage nach Nam‘ und Art ihres Retters die Katastrophe komplettierte. Lohengrin behauptet dennoch, dass er ihn erschlagen hat.
Als er kurz vorher aber davon sang, dass er mit Elsa zum ersten Mal allein sei, ging dann doch ein hörbares Schmunzeln durchs Parkett. Der Widerspruch zwischen dem, was gesungen wird und dem, was man sieht, war hier auf einer zu konkreten Ebene einfach zu offensichtlich. Zu Beginn des mittleren Aktes, wenn Telramund Ortrud auffordert sich zu erheben, die aber schon steht, ließ sich das übergehen, es kann ja durchaus sein, dass das irgendwie „gemeint“ war und nur nicht klar wurde. Wie überhaupt so manches an dieser Inszenierung. Die auf den Titelhelden bezogene Wer-bin-ich-Frage jedenfalls wird über den Namen und Herkunftsort hinaus nicht wirklich geklärt und bleibt zwischen Imagination und realer Figur in der Schwebe.
Keine Hoffnung
Die drei Räume, die Monika Pormale für diese Koproduktion mit dem Shanghai Grand Theatre gebaut hat, haben durchaus ihren ästhetischen Reiz. Die eine diffuse Gegenwart behauptenden Kostüme von Anna Axer Fijalkowska eher weniger: helle Einheitsklamotten, seltsame transparente (Regen-?)Mäntel, rote T-Shirts fürs Zuschauen beim Gottesgericht, rote Winkfähnchen (die in China womöglich als Ironie durchgehen?). Hierarchien, die aus Gruppendynamik resultieren, brauchen keine Kleiderordnung, die sie kenntlich machen. Elsas dunkles Jeanszivil mit Gummistiefeln kennzeichnet sie neben ihrem traumatisierten Habitus als den Problemfall in einem Stück, das man diesmal gut und gerne „Elsas Traum(a)“ nennen könnte.
Der erste Aufzug spielt, überragt von zwei Bäumen, auf begrünten Hügeln. Ob das ein echter Raum ist oder dergleichen nur simuliert wird, bleibt in der Schwebe. Denn im dritten Aufzug findet sich ein Teil davon in einem Innenraum wieder, den Elsa zunächst nicht verlassen kann, in dem aber die Massen von außen einströmen. Und bleiben. Hier gibt es auch den optischen Coup der Inszenierung: Zu Lohengrins Monsalvat-Erzählung senkt sich langsam ein gewaltiger Meteorit in den Raum, treibt also das Geheimnisvolle, das die Gralserzählung umweht, auf die Spitze. Dort hat man offensichtlich von Schwan auf außerirdische Transportmittel für sein Personal umgestellt.
Zunächst besteigen Lohengrin und Elsa dieses Gebilde gemeinsam und er erzählt ihr etwas von Schwert, Horn und Ring. Am Ende jedoch ist Lohengrin unter den Brabantern, die allesamt (inklusive seiner Gegenspielerin Ortrud) scheinbar tot zu Boden gehen. Der kleine Gottfried ist ziemlich allein, denn seine Schwester sieht er nur aus der Ferne von unten. Keine Hoffnung für niemanden, nirgends. Wobei die Chancen für Elsa hier eh schlecht standen.
Ein Traumpaar
Anders als die Szene lässt die musikalische und vor allem die vokale Seite des Abends keine Wünsche offen. Wenn man mal davon absieht, dass Francois-Xavier Roth mit dem relativ hochgefahrenen Orchester vor allem beim Auftrumpfen zulegt, das königliche Blech in den Seitenlogen platziert hat und vor allem beim populären Hochzeitsmarsch demonstriert, wie man es besser nicht macht. Aber auch in den Momenten, wenn er es mit der Lautstärke arg übertreibt, lassen sich diese Protagonisten nicht verdecken. Was die Staatsoper hier aufbietet ist live kaum besser denkbar. Mit den von Tilman Michael einstudierten Chören, weiss die Regie zwar über Tableaus und aktionistisches Hin und Her nicht wirklich etwas anzufangen, aber sie erfüllen ihre tragende Rolle vokal mit vollem Einsatz.
Das fängt an bei André Schuen als erstklassig markantem Heerrufer und Mika Kares als dessen profundem Chef. Es geht weiter mit Johan Reuter als Friedrich Telramund und einer sensationell finster gestaltenden Anja Kampe als Ortrud (offenbar hat sie ihre jüngsten Berliner Brünnhilden zum Einsingen genutzt).
Die Krönung aber sind Elsa und Lohengrin. Johanni van Oostrum ist vom ersten Ton an eine Elsa zum Niederknien. Traumwandlerisch sichere Einsätze und Höhen, zarte Piani und ein junges Timbre. Grandios! Dass Klaus Florian Vogt der Lohengrin unserer Tage ist, hat man schon zu recht bereits öfter lesen können. Diesmal übertrifft er sich noch. Ein Ritter ohne Fehl und Tadel, der nicht nur keinen Strahlemann-Ton schuldig bleibt, sondern auch mit Piani in den Bann zu ziehen vermag. Auch wenn die Inszenierung in mehrerlei Hinsicht einen Alptraum touchiert – ein Traumpaar bietet sie allemal!