Frank Damerius und Pius Maria Cüppers in der Uraufführung von "Odysseus!" am Staatstheater Nürnberg

Eiszeit für griechische Träume

Kerstin Specht (zusammen mit Manolis Manussakis): Odysseus!

Theater:Staatstheater Nürnberg, Premiere:19.12.2013 (UA)Regie:Maik Priebe

“Heldentum wird überschätzt”, murmelt der Mann, der den größten Teil seines Lebens mit Legendenbildung verbrachte. Die Erkenntnis kommt spät, denn da hat Ehefrau Penelope den nicht mehr so richtig Göttergleichen entgegen aller Erwartung nach der Rückkehr aus zwanzig Abenteuer-Jahren schon unsanft auf den Boden der Tatsachen gestaucht. Sie will vom Senior-Supermann mit Bauchansatz nicht gestört werden in ihrer verfügbaren „Erinnerung“, hat die Macht im Haus alleinerziehend mit dem Sohn geordnet und möchte nichts mehr hören von den „beschissenen Abenteuern“ in der Ferne. Wo Odysseus zu Ithaka ins Leere läuft, verpasst ihm Autorin Kerstin Specht ein sarkastisches Ausrufezeichen und beginnt die „Was wäre wenn?“-Fortschreibung der klassischen Story. Ihr Blick ist gnadenlos, ihre lakonische Sprache bleibt der Marke „kritisches Volkstheater“, die sie seit „Das glühend Männla“ 1990 in vielen Varianten ausprobierte, trotz des literarischen Höhenflugs immerhin noch im Denkansatz verbunden. Der Text will weder Hommage noch Mythenplünderung, eher den Entwurf eines kolossalen Gedichtes, einer Ode des Scheiterns, die den getragenen Ton im Zweifelsfall einfach auflaufen lässt.

Der Aufbruch in die „zweite Odyssee“, diese Flucht aus der ernüchternden Realität in die nächstbeste Illusion von Vergangenheit ohne Verfallsdatum, hat mehr Dissonanzen als heroische Hintergrundmusik. Der stillgelegte Held sucht sein Heil in der Instandsetzung verkümmerter Netzwerke, stößt beim Inselhopping nach Homer-Wegweiser (Einzelheiten sind weiterhin im Repertoire von Schauspiel, Oper und Operette zu finden) auf verwitterte Gefährten von dazumal und wärmt die Liebschaft mit der bei Menelaos verkümmernden Helena auf. Sie, die ewige Schönheit mit der allzeit bereiten Erotik, wird allerdings von Paparazzi der Yellow-Press gejagt und endet sehr ähnlich wie kaum 2700 Jahre später eine gewisse Diana, deren Nachruhm Frau Specht weiterhin Elton John überlässt. Achja: „Schönheit wird überschätzt“. Da bleibt nur die Mobilisierung der Altherren-Runde mit König Idomeneus (vergleicht gerne Narben aus früheren Kriegen) und Fluglotse Dädalus (empfiehlt Kiffen als Ersatz für Segelflüge) sowie eine gemeinsame Flucht aus Südeuropa zum Südpol, wo endlich alle hitzigen Rest-Wallungen eingefroren werden. Eiszeit für ein Requiem, aus der Traum!

Regisseur Maik Priebe mochte bei seiner Nürnberger Uraufführung des Textes (der ehemalige Münchner Tavernen-Chefkoch Manolis Manussakis hat ihn inspiriert und wohl auch die hämenden Anmerkungen zu Molekularküche und „375 Arten, ein Huhn zuzubereiten“ platziert) nicht auf den lapidaren Witz setzen, mit dem Kerstin Specht den Antiken-Standard immer wieder unterläuft. Er sucht große Geste in neuer Form. Dafür hat Ausstatterin Susanne Maier-Staufen in der Blue-Box eine umfangreiche Rechteck-Tafelrunde gebaut. Schauspieler mit Mikroport und Zuschauer mit Kopfhörer sitzen gemeinsam bei Tisch, welcher abwechselnd als Laufsteg oder Bühnenraum funktioniert. Delikate Hörbuch-Ästhetik wird der Aufführung wie eine Präambel vorangestellt, dann kann die alternative Bildungsreise beginnen. Szene für Szene schürft die Regie nach Bedeutung, nur der Chor der vereinigten Schauspieler darf sich bei dieser schweißtreibenden Arbeit in Spechts Ironie sonnen. Im Zentrum herrscht verhangene Melancholie: Frank Damerius zeigt Odysseus als Auslaufmodell mit Rest-Pathos, Adeline Schebesch schafft den Wechsel von keifender Hausfrau Penelope zum Luder Helena auf gleicher Rezitations-Ebene, Pius Maria Cüppers und Rainer Matschuck (Idomeneus und Dädalus) schießen im Kollektiv der Randerscheinungen die Giftpfeile besonders zielgenau.

Die ambitionierte Aufführung rutscht in hundert Minuten immer weiter in die Elegie, immer weiter weg von Kerstin Spechts leichtsinnigerem Gegen-Entwurf. Es ist ja nicht so, dass man den Homer als Simpson haben möchte, aber den alten Klassiker-Sockel durch einen neuen zu ersetzen, hilft dem Projekt nicht wirklich. Es gab freundlichen Beifall für alle Beteiligten – und den heimlichen Wunsch, das Stück bald nochmal zwei bis drei Gewichtsklassen tiefer zu erleben.