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Eine Entrümpelung

Giacomo Meyerbeer: Le prophète

Theater:Staatstheater Braunschweig, Premiere:19.10.2014Regie:Stefan OtteniMusikalische Leitung:Ernst van Thiel

Große Oper, das war zu Giacomo Meyerbeers Zeiten eine werbeträchtige Verlockung der gebildeten Massen: gefühlsaufrüttelnde Unterhaltung für Augen und Ohren und klingelnde Kassen. Effekte wurden nicht nur von der Musik, sondern auch von den Bühnenereignissen erwartet. Unter Revolution, Vulkanausbruch und explodierendem Pulverturm war da nichts zu machen, kitzelten diese Vorstellungen die Bürger doch genau da, wo ihre ärgsten Ängste saßen. Ein kalkulierter Schrecken, den Meyerbeer auch in seinem „Prophète“ effektvoll nutzt, wo sich die Wiedertäufer-Revolution schließlich im Terrorregime selbst auffrisst und Jean, der Revolutionsheld wider Willen, der eigentlich nur vom privaten Glück in seiner Hütte geträumt hatte, wieder seiner Mutter und damit dem alten Glauben in den Schoß fällt: Die Mutter heißt schließlich nicht umsonst Fidès. Das beruhigte.

Das effektberechnete Spiel wurde Meyerbeer seinerzeit oft genug zum Vorwurf gemacht. Am Staatstheater Braunschweig, das jetzt den einstigen Opernhit dankenswerterweise wieder zur Diskussion stellt, besteht diese Gefahr kaum. Regisseur Stefan Otteni und seine Ausstatterin Anne Neuser haben die Bühne derart verkargt, dass von Großer Oper in dieser Hinsicht gewiss nicht die Rede sein kann. Otteni lässt auf weitgehend leerer Bühne in den sichtbaren Brandmauern des Theaters spielen. Reißerische Aktualisierungen hat er sich verkniffen. Stattdessen eine Art Neubayreuther Entrümpelung mit gemäßigter Abstraktion. Nur ein Gemälde verweist aufs Landleben. Im Winterlager kleidet ein weißes Tuch Boden und Rückwand. Wenn der selbstgefällige Graf erscheint, tut er das mit Weinglas in der Hand auf einem seiner Stellung gemäß aufgefahrenen Podium, das ist die ganze Pracht. Erst für die Krönung Jeans zum Wiedertäuferkönig gibt es einen Aufmarsch rotbekittelter Ku-Klux-Clan-Spitzhüte.Symbolkräftig ist das Kerker-Bild: Die Mutter Fidès gefangen in einem Keller voller im Bildersturm erbeuteter Kruzifixe, letzte Zuflucht im Glauben, der unter allem west, zugleich exzessiv und bergend.

Aber so karge Räume wollen eben auch gestisch und musikalisch gefüllt sein. Hier aber kommt Otteni über sehr konventionelle Lösungen nicht hinaus. Da wird viel zu viel starr herumgestanden, die Chormasse nicht als Macht formiert, fehlt es vor allem an Lichtregie, um den Szenen die Probenatmosphäre zu nehmen und mehr Aura zu geben. Die Große Oper verträgt Abstraktion nicht gut. Auch Meyerbeers Musik ist eben sehr an die Handlung gebunden, erlaubt keine weltphilosophischen Ausflüge. Otteni versucht, dem durch eine Rahmenerzählung zu begegnen: Jean liegt vorn auf der Bühne, auf seine Hinrichtung wartend, und erlebt die Handlung im Albtraum, wozu er oder sein Double ins Geschehen eingreifen. Aber gerade dieses Bedrängend-Traumatische wird durch Lichtregie und Personenführung nicht gestützt. Und wenn alles den finalen Selbstmordanschlag erwartet, die Sprengung der Stadt, den Weltenbrand, zeigt Otteni nur die persönliche Katastrophe: wie Jean aufs Folterbrett gespannt wird.

So bleibt es weitgehend am musikalischen Personal, aus diesem „Prophète“ doch noch eine Große Oper zu machen. Da zeigt sich Ernst van Thiel als charismatischer Sachwalter Meyerbeers, der das Staatsorchester zu Effekt, Linie und Klangpracht motiviert, wie sie Meyerbeers Partitur in harschen Schnitten aufruft. Da kommen volkstümliche Tänze und Märsche voller Verve, dürfen die Chöre sich kraftvoll verströmen, Kinder lieblich säuseln. Dabei bleibt Thiel stets aufmerksam den Sängern gegenüber, bringt so die Schönheiten des Werks zum Klingen. Mit Anne Schuldt kommt eine Fidès dazu, die in allen Lagen volltönig und weich klingt, selbst Höhen meistert und die eigenwilligen Koloraturen ihrer große Kerker-Arie mit Bravour hinlegt. Dank ihres bei aller Strahlkraft sehr beweglichen Mezzosoprans gelingt auch das heikle Duett mit Berthe sehr schön. Ekaterina Kudryavtseva bringt für Jeans abgeschobene Geliebte reiche Sopran-Koloratur, aber vor allem auch die im Kerker-Akt verlangte dramatische Fülle mit. Als Jean erweist sich Arthur Shen als charismatischer Spieler, der im dramatischen Affekt wie in seiner Kriegsansprache kraftvolle Höhen hinlegt. Doch er muss  auch oft unangenehm forcieren, und für lyrische Passagen fehlt ihm die samtige Farbe. Das Wiedertäufer-Trimvirat singen Matthias Stier, Selcuk Hakan Tirasoglu und Rossen Krastev mit schön fülligen Stimmen, routiniert absolviert Oleksandr Pushniak den arroganten Grafen.

Nach dreieinhalb Stunden gab es starken Applaus und Bravos für die Protagonisten und Musiker, auch für das Regieteam überraschend einhellige Zustimmung. Einen Besuch lohnt Braunschweigs Meyerbeer allemal.