Foto: „Serge“ am Düsseldorfer Schauspielhaus mit Sophie Stockinger, Andreas Grothgar, Thomas Wittmann und Claudia Hübbecker © Sandra Then
Text:Detlev Baur, am 19. März 2023
Ein eindrückliches Bild beendet die Inszenierung: Die drei Geschwister sitzen nebeneinander vor der halbtransparenten Rückwand, die nun weit nach vorne geschoben ist (Bühne: Lydia Merkel); Nana (Claudia Hübbecker) und der Titelheld Serge (Andreas Grothgar) haben sich zum ersten Mal in diesen knapp zwei Stunden innig umarmt. Dann wird Serges Name aufgerufen, er verlässt seine beiden Geschwister zur Untersuchung, die vermutlich die Krebsdiagnose bestätigen wird. Es bleiben Schweigen und eine Lücke in der Mitte. Auch der Erzähler Jean (Thomas Wittmann) hat im Angesicht des drohenden Todes für den großen Bruder nichts mehr zu sagen.
Ein Roman für die Bühne?
Yasmina Rezas im letzten Jahr erschienener Roman „Serge“ wurde vor Kurzem bereits am Burgtheater auf die Bühne gebracht. Nun zeigte das Düsseldorfer Schauspielhaus im Kleinen Haus die erste Bühnenversion in Deutschland. In einer Woche wird dann Rezas neustes Stück am Münchner Residenztheater uraufgeführt werden. In beiden Texten ist die Hauptfigur ein reichlich eigenwilliger Mann. Serge ist im gleichnamigen Roman Mitglied einer bürgerlichen jüdischen Familie in Paris und hält Distanz zu seinen Angehörigen wie auch zur bitteren Geschichte seiner Vorfahren. Auf der im Zentrum des Geschehens stehenden von Serges Tochter Joséphine initiierten Reise der Geschwister nach Auschwitz kristallisieren sich die Konflikte unter den Dreien samt Kindern heraus und werden gleichzeitig weiterhin verdrängt.
In der Düsseldorfer Inszenierung der künftigen Essener Schauspielintendantin Selen Kara wird die Folie des Vernichtungslagers, in dem Verwandte der Mutter zu Tode kamen, durch Toneinspielungen (Musik: Torsten Kindermann/Jan-Sebastian Weichsel) grundiert, die Drastik der Situation transportiert sich auch mit modernen Rollkoffern als Dauerrequisten jedoch nicht. Joséphines moralisch-touristischer Absolutheitsanspruch (Sophie Stockinger) bleibt blass; immerhin kann Andreas Grothgars Serge in diesen Szenen seinen konfliktscheuen Zynismus weiter profilieren, als sympathischer Eigenbrötler wie als egoistisches Ekel. Fraglich bleibt aber, wie solche Szenen der Erzählung auf einer Theaterbühne überhaupt angemessen dargestellt werden können.
Skizzen von Geschwistern
Die Inszenierung erzählt das Geschehen, meist über Thomas Wittmanns Jean, und illustriert das Beschriebene zugleich. Die Figurenkonstellationen bleiben so statisch, obwohl gerade die drei Hauptdarsteller souverän und gut dosiert ihre Figuren entwickeln. Der beflissene, konturenlose Erzähler Jean, graues Schaf oder Diplomat, und die eigenwillige, letztlich aber familienfreundliche Schwester Nana sowie der machohafte, so coole wie kleingeistige Serge. Reza entwirft Skizzen von Figuren. Anziehung und Abstoßung enger Familienmitglieder im Angesicht des Todes – dem der Mutter vor Einsetzen der Handlung, dem Massenmord an Teilen der Großfamilie in Auschwitz, aber auch dem Tod des betagten Cousins Maurice (Rainer Philippi) und schließlich dem drohende Ende Serges – sind die zentralen Motive von „Serge“.
Reza hat ein skizzenhaftes Werk geschrieben, das formal wie thematisch nicht nach der Bühne schreit. Im zweiten Teil entwickelt sich die Dreiecksbeziehung der Geschwister deutlicher, vor allem Serge gewinnt als Figur mehr Facetten. Das ist bei der Allgemeinheit der Themen recht viel – auch Mehdi Moinzadeh gelingen als Frau des sterbenden Cousins kleine feine Schauspielminiaturen. Doch bleibt das Geschehen insgesamt auch trübe wie die milchige Kunststoffwand der mobilen Bühnenrückseite, die im Lauf des Spiels an den Seiten durch zwei vorgeschobene Wandteile zwar an Tiefe gewinnt, letztlich aber immer flach bleibt.