Stefan Schleue, Sarah Wissner und Sebastian Muskalla (v.l.)

Ein schweigsamer Versuch über Poesie

Olivier Garofalo: Fellini. Ein Traum

Theater:Rheinisches Landestheater Neuss, Premiere:18.01.2020 (UA)Regie:Antonia SchirmeisterKomponist(in):Matthias Flake

Wortlos heißt ein neues Format am Rheinischen Landestheater Neuss. Dessen neue Intendantin Caroline Stolz möchte in jeder Spielzeit eine Premiere „ohne Worte, aber mit Sprache“ herausbringen, also einen Theaterabend, an dem nicht im engeren Sinne gesprochen wird. Für den ersten Versuch in dieser Richtung hat Olivier Garofalo, am Haus als „Dramaturg und Dramatiker“ fest engagiert, aus seiner Beschäftigung mit den Filmen Federico Fellinis destilliert.

Dass diese dann im Zirkusmilieu angesiedelt ist, liegt sozusagen auf der „La Strada“. Aber wie bekommt man eine derart paradoxe Ästhetik, wie bekommt man diese poetische Sozial- und Geschichtskritik, diese lustvoll um Authentizität ringende Opulenz auf eine Theaterbühne.

Die Antwort ist einfach: gar nicht. Weil die von Antonia Schirmeister verantwortete Produktion „Fellini. Ein Traum“ anderes im Sinn hat. Fellini ist hier Materialspender und Ideengeber, nicht mehr. Natürlich sprengt zu Anfang einer (Benjamin Schardt) mit nacktem Oberkörper Ketten wie Anthony Quinn als seitdem sprichwörtlich gewordener Zampano, auch die Dreiecks-Konstellation aus „La Strada“ wird auf der Bühne produktiv. Natürlich denken wir beim kollektiven Spaghetti-Verschlingen an Fellinis berühmten Ausspruch „Life is a combination of magic and pasta“. Die Nonne lässt uns genauso an eine Stelle aus, wieder, „La Strada“ denken, wie an die berühmte Verführungsszene am Anfang von „Casanova“, während der eine Vogelspieluhr abläuft. Und auf der Neusser Bühne stirbt ein Schauspieler mit Vogelkopf immer wieder. Und Fellini mochte Clowns und die Zirkuswelt, was er unter anderem in einem Dokumentarfilm dokumentiert hat.

Auf der Bühne steht zu Beginn ein unglücklicher Clown im dunklen, leeren Bühnenraum, so leer, dass man die Bühnenarbeiter noch weggehen sieht, die just von Hand den Vorhang hochgezogen haben. Der Clown (Sebastian Muskalla) hat schlechte Laune, ist traurig, fühlt Leere in sich. Um sich zu erheitern, führt er ein Tänzchen mit seinem Spiegelbild auf, das stark an die berühmte Szene aus dem Marx-Brothers-Film „Duck Soup“ erinnert. Das Spiegelbild (Stefan Schleue) tritt heraus, stellt dem Clown einen Regiestuhl hin und bietet sich als Erfüllungsgehilfe an. Es beginnt ein Reigen von kleinen, kleinsten Bildern, Gags und Geschichten, von denen nicht alle eins zu eins zu verstehen sind, was wieder an Fellini anschließt. Gemeinsames Bildelement sind höchst phantasievoll eingesetzte Glühbirnen. Immer wieder geht irgendwem irgendwie ein Licht auf, bis das Ensemble kurz vor Schluss aus Birnchen eine riesige Narrenkappe (oder ein Narrenschiff) bastelt und vor sich hochhält. Was vielleicht mit der aus jungen weiblichen Mitgliedern der Neusser Bürgerbühne gebildeten Chorus Line zu tun hat, die Karnevals-kompetent die Beine schwingt bis zum mühelosen Spagat und von Antonia Schirmeister angenehm unangestrengt in das poetische Chaos eingebunden wird.

Dieses bietet für jeden etwas. Man muss es aber aktiv auffinden. Mir etwa gefiel der weinende Mann in den besten Jahren auf Rollschuhen (Carl Ludwig Weinknecht), der schon beschriebene, immer wieder unglaublich charmant sterbende Vogel (Tom Kramer) und der Mann mit dem Schwimmreifen um die Hüften (Niklas Maienschein), der seine unbekannte Last die ganze Zeit lang bis zur Erschöpfung durch das ganze Theater trägt und als er endlich befreit ist, mit einer Toten (Mirjam Schollmeyer) konfrontiert wird.
Der ungewöhnliche Abend wird eindeutig getragen vom Enthusiasmus aller Beteiligten, des zehnköpfigen Ensembles, der elf Tänzerinnen aus der Bürgerbühne und dem Kampfpaar von Fightholics Amarit e.V. Das hilft über manche Unschärfen hinweg. Manche Aktionen sind etwa arg kleinteilig für die große Bühne. Hier und da hätte etwas mehr Entschlossenheit, etwas mehr Lust am Ausdruck, vielleicht sogar ein Hauch Sendungsbewusstsein der Sache gut getan. Und das Dogma des Nicht-Sprechen-Dürfens beraubt die Regisseurin auch einiger Möglichkeiten. Ein Satz, ein Gedicht, ein Lied – die von Matthias Flake beigesteuerte Bühnenmusik verdient übrigens eindeutig positive Erwähnung, wie auch die sich von Fellini emanzipierenden Kostüme von Elena Anatolevna – zur rechten Zeit hätte das Ausdrucksspektrum erdrutschartig erweitert, ohne das Prinzip zu zerstören.

Einziges tatsächliches Wort an diesem Abend ist „Federico!“, geschrien vom Clown, als er am Ende aufwacht. Alles, was wir gesehen haben, war also nur ein Traum. Dass sich da jemand durch Handeln, durch Spielen, durch Verantwortung selbst aus dem Sumpf gezogen hat, wieder da ist und die Schönheit des Lebens sieht, auch, wenn er Fehler macht und anderen wehtut wie wir alle, war aber doch ein, wenn auch etwas dünner, sehr schöner roter Faden. Der durch dieses eine Wort in die zweite Reihe gebannt wird, hinter das den Abend benennende Originalgenie. Also war alles einfach Spaß? Dazu haben wir vielleicht doch zu wenig gelacht.