Foto: Aus dem Klavier geboren: Beethoven (Aleix Martinez) © Kiran West
Text:Andreas Berger, am 25. Juni 2018
Das Herzstück von John Neumeiers „Beethoven“-Projekt, die dritte Sinfonie, reißt mit – das Projektumfeld fasziniert weit weniger.
Hätte es an diesem Abend nur die „Eroica“ gegeben, wäre man freudig belebt nach Hause gegangen. In seiner Tanzfassung der 3. Beethoven-Sinfonie wirbelt John Neumeier zur Eröffnung der Hamburger Ballett-Tage mit jugendfrischer Energie Motive aus Beethovens Leben und Schaffen auf, so andächtig schön im Trauermarsch wie technisch sprudelnd im Scherzo und Finale. Das erinnert an die Jubelchöre aus seinem „Weihnachtsoratorium“, hat die Heiterkeit seiner Shakespeare-Tänze und im Pas de deux die Tiefe der Emotion eines Requiems.
Aber für die Uraufführung seines „Beethoven-Projekts“ hat er sich noch „Beethoven-Fragmente“ vorweg und ein „Intermezzo“ zu den „Geschöpfen des Prometheus“ ausgedacht, und das blieb denn doch deutlich im Projektstatus stecken. Neumeier hatte es die Idee angetan, dass ein später in der „Eroica“ auftauchendes Motiv bereits in seinen Klaviervariationen op. 35 und im Prometheus-Ballett auftaucht. Aber das schafft im Stück schon akustisch keinen Wiedererkennungswert, inhaltlich verbindet es noch weniger.
Mit Aleix Martinez steht denn also „ein Tänzer als Ludwig van Beethoven“ auf der Bühne, so die unnötig umständliche Deklaration auf dem Programmzettel. Denn die Besetzung folgt offensichtlich dem attraktiven Jugendbildnis Beethovens, und Martinez wird direkt aus dem Klavier geboren, hangelt sich aus dem Corpus herab, umklammert die Beine, ein Geschöpf der Musik, mit Beethovens Kragen, also nicht ein Tänzer, der die Beethoven-Rolle erst suchen muss. Eher sucht Beethoven noch seine Rolle. Er spielt Luftklavier, eine arg pantomimische Idee.
Und Figuren seiner Fantasie erscheinen: Der kraftvoll heroische Edwin Revazov wie der erträumte Freiheitsheld, als den Beethoven vorübergehend Napoleon auffasste; der wuschelköpfige Jüngling Borja Bermudez, Freund und Alter Ego seiner Jugendtriebe; eine Braut in Weiß, die ein anderer abführt. Die für Beethoven stets unerreichbar ferne Geliebte lässt grüßen. Irritierend bleiben die teils mechanisch abgehackten Bewegungen Beethovens. Gerade dieser selbstbestimmte Geist hat doch nichts von einem Automaten? Schön die Idee, dass seine Fantasien wie in Zeitlupe vorüberziehen, es gibt elektrische Störungen in der Musik, Beethoven hält sich die Ohren zu, wirkt gequält, will fliehen und wird von den Figuren doch wieder zurückgezogen ins Leben, ins Schaffen. Und doch wirkt vieles zu gestellt an diesen „Fragmenten“, weder das Einsam-Tragische noch das Revolutionäre, Aufbrechende werden wirklich spürbar.
Unter Gewitter und Szenenwechsel schlüpft Beethoven nun selbst in sein „Prometheus“-Ballett und wird selbst zu Prometheus, dem Schöpfer der ersten Menschen. Das hätte organisch, als Ausweg aus dem Lebensdilemma gestaltet sein sollen. Stattdessen inszeniert Neumeier ein „Intermezzo“ mit Ansagerin und Orchesterstimmen. Auch Schöpfung und Vervollkommnung des Menschen durch künstlerische Bildung bei den Musen nimmt er ironisch, mit Apoll im Flatterhemdchen, bis sich Männer und Frauen in zwei Reihen gegenüberstehen zum Contredanse, der auch das kleine Eroica-Motiv in sich trägt und wegen seiner partnerwechselnden Jeder-mit-Jedem-Konstellation einst als verdächtig demokratisch galt. Statt hier aber endlich Beethovens revolutionären Geist ausbrechen zu lassen, blendet Neumeier ein erläuterndes Schiller-Zitat auf den Vorhang. Nein, diese Ausflüge ins epische Theater überzeugen nicht.
Zum Glück folgt nach der Pause die „Eroica“ in purem Tanz. Die vier Sätze variieren hier nun wirklich Lebensthemen Beethovens, die Martinez als sympathisch die Szenen durchlaufender Schöpfergeist zugleich erlebt und imaginiert. Und da macht es Sinn, wenn im beherzten Aufbruch des ersten Satzes voller Drehsprünge und Hebungen auch Edwin Revazov und Anna Laudere wiedererscheinen, die im „Prometheus“ Apoll und Terpsichore tanzten: Beethovens Revolution verläuft via Kunst.
Im Trauermarsch erfindet Neumeier ihnen eindringliche Figuren, in denen sie immer wieder von seinen Armen gleitet, während hinter einer Wand aus projiziertem Feuer Jungs niedersinken wie Gefallene. Doch Beethovens Kunst ist nicht nur Düsternis, er hat auch Schillers Freudenode von Herzen ausgesungen. So wirbeln im Scherzo dieselben Jungs mit Jeans und offenen Hemden rein, die Frauen tragen etwas brave Kleidchen, aber der Spaß, die lebensfrohe Stimmung voller federnder Hüpfer und Sprünge vermitteln sich ansteckend. Die Zukunft, so glaubte Beethoven, werde heiterer und freier sein. Strahlend sitzt er in Gestalt Martinez‘ dazwischen, der dann auch die Jeans hervorholt, sein Werk galt künftigen Generationen.
Und so drückt er sich die Hand aufs Herz, als alles in edlem Weiß freudig ins Finale tanzt, mit etwas komischen Schößchen zwar, aber herzhaft beglaubigend, wozu das Menschengeschlecht geschaffen ist. Diese finale Verschmelzung des Biografischen, Mythischen und Allgemeinmenschlichen gelingt Neumeier ansteckend locker und versiert. Diese „Eroica“ ist ein Werk – er hätte es nicht durch Fragmente zum „Projekt“ verschrauben müssen.