Foto: Szene aus "Prometeo" von Luigi Nono © David Röthlisberger
Text:Jörn Florian Fuchs, am 12. September 2016
Vor dem kleinen feinen Luzerner Theater steht momentan ein weiteres Theater, eine Holzbox, die zum Auftakt der Intendanz Benedikt von Peters als Partyzone dient, später wird dort auch gespielt. Direkt gegenüber führt eine große Holztreppe in den ersten Stock des ‚echten‘ Theaters, dort steigt man hinauf, entledigt sich seiner Schuhe, zieht Wollsocken an und betritt einen völlig umgebauten Zuschauersaal. Die Stühle wurden fast komplett entfernt, ein Holzboden eingezogen, auf der Bühne und an den Seiten sind Holzgerüste errichtet, die an Shakespeares Globe Theatre erinnern. Das Publikum bleibt in der Mitte. Es gibt Bänke, Hocker, für die besonders Entspannungsbedürftigen auch einige Matratzen (Ausstattung Natascha von Steiger). In den kommenden knapp zweieinhalb Stunden werden einen betörende Vokalklänge, gewaltige orchestrale Ausbrüche, überhaupt viel hochkomplexe Musik umgeben. Luigi Nonos nicht unproblematische, weil arg kunstreligiöse ‚Tragödie des Hörens‘ „Prometeo“ hat seinen Weg nach Luzern gefunden, in Szene gesetzt durch Benedikt von Peter, den radikalen Raumerfinder und Umdeuter. Repertoire-Klassiker stellt von Peter gern vom Kopf auf die Füße, löst herkömmliche Figurenkonstellationen auf, verändert oft radikal die Perspektive.
Nonos „Prometeo“ besitzt keine Handlung, es ist eine Reflexion des Mythos, erweitert durch zum Teil gesungene, zum Teil lediglich als Inspiration dienende Texte, etwa von Hölderlin oder Walter Benjamin (zusammengestellt von Massimo Cacciari). Starke Kontraste, häufige Temperaturwechsel herrschen vor, dem Luzerner Sinfonieorchester wird Gewaltiges abverlangt, unter der fulminanten Leitung von Clemens Heil wachsen die Musiker über sich hinaus. Auch der Theaterchor und das durchweg hervorragende Solistenensemble (besonders bemerkenswert Sopranistin Aki Hashimoto, Altistin Karin Torbjörnsdóttir sowie der Tenor Denzil Delaere) sorgen für ein eindrückliches Erlebnis. Und die Regie? Benedikt von Peter möchte das Stück möglichst klar und unpathetisch vermitteln, daher ist es keine Inszenierung im eigentlichen Sinne geworden, sondern eine Installation.
Die hat es jedoch in sich. Das Publikum kann und soll sich nach einem entsprechenden Lichtsignal umsetzen, um neue Sicht- beziehungsweise Hörperspektiven zu gewinnen. Überhaupt das Licht – meist herrschen sanfte Stimmungen vor, doch es gibt auch eine gewaltige Scheinwerfersonne oder zart ausgeleuchtete Nebelräume. Ein paar Statisten mischen sich unters Publikum, zum Beispiel eine ältere Frau mit Taschenlampe, mehrfach kommen Damen mit Wasser und Decken für die Zuschauer vorbei. Alles wirkt an diesem Abend vorsichtig, tastend, dabei völlig unprätentiös und ernsthaft. Die gesungenen Texte werden auf die Holzkonstruktion und zeitweise auch auf Teile des Publikums projiziert, auch dies ist gleichsam ein Wahrnehmungsangebot, das völlig ohne Didaktik und Zeigefinger daher- und auskommt. Die vom SWR Experimentalstudio kreierte Live-Elektronik wirkt in dem kleinen Raum frappierend gut, Nonos Musik braucht ja eigentlich größere Säle. Dem Luzerner Theater (in Koproduktion mit dem Lucerne Festival) gelingt mit diesem „Prometeo“ ein wahres Kunststück, das übrigens fast ein dutzend Mal auf dem Spielplan steht. Nonos schwieriges Avantgarde-Schlüsselwerk im Repertoire eines kleinen Stadttheaters auf solch einem Niveau – ein echter Coup!