Foto: Frode Olsen (Hamm) und Morgan Moody, sein Diener Clov © Thomas M. Jauk/StagePicture
Text:Ulrike Kolter, am 2. März 2024
Nach der Uraufführung an der Mailänder Scala zeigt die Oper Dortmund die Zweit-Inszenierung von György Kurtágs Oper „Fin de Partie”. Auf der düsteren Hinterbühne ist das Publikum dem absurden Kammerspiel nach Samuel Beckets gleichnamigem „Endspiel” ganz nah – und kann auch die filigrane Orchestrierung des Komponisten mitverfolgen.
Unzufrieden war schon Samuel Becket, dass die Uraufführung seines Stückes „Endspiel“ 1957 auf der großen Bühne des Londoner Royal Court Theatre stattgefunden hatte. Denn das vom Kalten Krieg geprägte, existentialistische Werk, indem vier körperlich lädierte Personen nach einer globalen Katastrophe auf nichts als den Tod warten, ist ein Kammerspiel par excellence. Und damit wenig geeignet für große Räume.
Noch im selben Jahr sah der ungarisch-französische Komponist György Kurtág Beckets düsteres Drama in Paris und begann, sich an ihm abzuarbeiten. Über zehn Jahre Komponieren mündeten 2018 endlich in die Uraufführung des Operneinakters „Fin de Partie“, als unvollendetes Fragment – nach zahlreichen Aufschüben wieder auf einer zu großen Bühne, der Mailänder Scala. Da war György Kurtág bereits 92 Jahre.
Intime Zweit-Inszenierung
An der Oper Dortmund hat man die Zweit-Inszenierung von „Fin de Partie (Endspiel)“ nun auf die Hinterbühne verlegt (Bühne und Kostüme: Anne Neuser), in einen intimen Schutzraum für nur 120 Zuschauerinnen und Zuschauer, der dem Endzeitdrama so gerecht wird wie der kammermusikalischen Komposition dieser „Szenen und Monologe“. Denn obwohl Kurtág ein riesig besetztes Orchester einfordert – dominiert von diversem Schlagwerk, tiefen Holzbläsern und einer Celesta – ist das Klangbild seiner ersten Oper durchweg filigran, wechseln Motive durch kleinste Instrumentalgruppen und verschmelzen mit den Gesangsparts. Und weil die Dortmunder Philharmoniker unter dem präzise der Partitur dienenden Dirigat von Johannes Kalitzke auf der Bühne hinter einer Gaze postiert sind, kann man dieses Arrangement wunderbar verfolgen. So wie auch das „Endspiel“ auf der Bühne davor:
Klaustrophobische Ticks
Auf trostlos-grünem Kunstrasen sind zwei Mülltonnen in den Boden eingelassen: die Behausung von Nell (Ruth Katharina Peeck) und Nagg (Leonardo Cortellazzi). Beide haben bei einem Fahrradunfall ihre Beine eingebüßt. Blind, gealtert und im Rollstuhl ist der gemeinsame Sohn Hamm (Frode Olsen), Vierter im Bund der Versehrten ist Diener Clov, lahm sein rechtes Bein nachziehend (Morgan Moody). Alle ertragen ihr bevorstehendes Ende mehr oder weniger zynisch. Regisseur Ingo Kerkhof arrangiert dieses trostlose Dahinvegetieren sparsam, viel Spielraum bleibt nicht in dieser klaustrophobischen Lage, jeder geht dem eigenen Exodus mit anderen, kleinen Ticks entgegen: Nell starrt lethargisch aus ihrer Tonne in die Ferne, Nagg pflegt fingerzeigend seinen infantilen Galgenhumor, Hamm sucht Schlaf und damit Realitätsflucht mit einem kleinen Leinentuch über dem Kopf: „Sie sind auf der Erde, dagegen gibt es kein Mittel.“
Am deutlichsten gelingt Kammersänger Morgan Moody als Diener Clov die absurde Überzeichnung seiner Figur, als Einziger, der laufen kann. Am Rollkragen seines schwarzen Pullovers knabbernd, schreitet der von allen Gedemütigte fast autistisch die Bühne ab, mit steifem Bein von links nach rechts und zurück wie ein depriviertes Kind. Großartig!
Ruth Katharina Peeck und Leonardo Cortellazzi (Nell und Nagg). Foto: Thomas M. Jauk/StagePicture
Die übrige Szene lässt uns seltsam unberührt, auch wenn alle vier Sänger:innen Kurtágs Partien zwischen ariosem Sprechgesang und rauchigem Flüstern auf höchstem Niveau musizieren; Leonardo Cortellazzi (Nagg) und Frode Olsen (Hamm) gar zur Uraufführungsbesetzung gehören.
Schon als Dortmunds jetziger Opernintendant Heribert Germeshausen noch das Musiktheater in Heidelberg leitete, entstand sein Plan, Kurtágs „Fin de Partie“ für das dortige Zweitaufführungs-Festival nach Deutschland zu holen. Nach jahrelangen Verschiebungen und eine Pandemie später hat die Oper Dortmund das Projekt nun vollendet. Angesichts der instabilen Weltlage scheint uns Beckets Endzeitdrama relevanter denn je. Vor allem aber ist diese Produktion ein Verdienst an Kurtágs Komposition, weil sie uns sein Klangdestillat körperlich so nahebringt. Am zähen Ende bleiben nur Töne, und die von Bettlaken zugedeckten Leiber.