Ensembleszene

Doppelt sieht man besser

Nach Euripides, Grillparzer, Anouilh und mit Texten von Paulina Chiziane: Medea2

Theater:Theater Osnabrück, Premiere:18.02.2018 (UA)

Dominique Schnizer inszeniert „Medea 2“ am Theater Osnabrück

Doppelt sieht man besser. Also klarer und tiefer. Erkennt existenzielle Konstanten in mythischem Gewand. Das scheint der Ausgangspunkt des leitenden Osnabrücker Schauspielregisseurs Dominique Schnizer zu sein für die Kooperation mit dem Teatro Avenida in Maputo, der Hauptstadt Mosambiks. „Medea2 – Dois mundos, uma narração“ ist die Auseinandersetzung mit der Geschlechterkampftragödie betitelt, die sich bei Textfassungen von Euripides, Grillparzer  und Anouilh bedient, auch aufklärerische Schnipsel der Literatin Paulina Chiziane benutzt.

Beeindruckend konzentriert das Bühnenbild (Christin Treunert) den Blick sofort auf den Regieansatz. Im changierenden Mix aus Reflexion und Transparenz trennt eine quer durch den Spielraum gebaute Glasfront drei afrikanische und drei europäische Darsteller, vereint sie aber auch im Spiegelbild. Jede Figur betrachtet ihr Gegenüber wie ein Ausstellungsstück im Völkerkundemuseum. Aus der Stille erheben sich zwei Stimmen einer Frau. „Eine Stimme weint und die andere Stimme lacht“, heißt es. „Der Gesang der Medea“ sei das. „Sie ist ewig.“ Wenn wir die schwarze und weiße Medea zusammendenken. Um diese These zu beweisen, weint die Europa-Medea über ihre Demütigungen in der Ehe, die Afrika-Medea soll sich lachend dagegen stellen. Faszinierend ist, wie die Hauptdarstellerinnen den apodiktischen Widerspruch verlebendigen. Maria Goldmann ist eine Nora im Endstadium der Verzweiflung, die selbstbewusst-geschmeidigen Gesichtszüge verrutschen nach und nach zu Megärengrimm, Yolanda Dina Fumo ballt lieber die Hände zu Fäusten, als dass sie den Stolz der Medea-Herkunft – Königstochter, Priesterin, Magierin – aus ihrem Antlitz verliert. Zwei Seiten der einen Medaille, mit patriarchaler Macht und Fremdenfeindlichkeit umzugehen.

Zudem sind es Beispiele der doppelgesichtigen Medea-Figur: Einerseits wird sie als Hüterin der Natur mit dem Körper einer Schlange und dem schönsten Gesicht der Welt beschrieben: „Sie pfeift, verzaubert, schläfert ein.“ Andererseits straft sie „den mit dem Tod, der ihren Weg versperrt“. Fühlt sie sich gekränkt, wird schnell das Rachebedürfnis zum einzigen Maßstab ihrer Handlungen. Im Entsetzen erfährt Medea sich selbst als fremd. Da stehen dann Goldmann und Fumo einander gegenüber und rechnen in einer Art Selbstverständigungsgespräch ab, bereuen, sich für die Liebe weggeworfen zu haben und kritisieren einander: „Du, Medea, warst zu ehrgeizig. Du wolltest wichtig sein. Was du Liebe nennst, ist die Projektion deines Ehrgeizes auf die ganze Welt.“

Beide Darstellertrios spielen das Stück in ihrer Landessprache. Mal laufen die portugiesischen und deutschen Passagen gleichzeitig, so dass die Stimmen wie anfangs die Abbilder der Schauspieler ineinander verschwimmen, mal werden Satz für Satz die Spielorte gewechselt, mal die Szenen reizvoll in- und gegeneinander geschnitten oder miteinander verzahnt. Stets funktionieren sie gegenseitig als Übersetzung. Überzeugend auch, wie sich die gläsernen Raumtrenner schließlich öffnen für die schmerzhafte Illusion der Liebe-kennt-keine-Grenzen-Idee. Der weiße Jason heiratet die schwarze Medea, nimmt sie mit nach Europa, wo sie unerwünschte Ausländerin ist und von der rassistischen Herrschertochter Kreusa zwecks ihrer Vermählung mit dem karrieregeilen Jason wieder entsorgt wird. Der schwarze, nach Europe geflüchtete Jason heiratet die weiße Medea, nimmt sie mit nach Afrika, wo sie unerwünschte Ausländerin ist und von rassistischen Herrschertochter Kreusa zwecks ihrer Vermählung mit dem karrieregeilen Jason wieder entsorgt wird. Beide Medeas empfinden in ihrem Gastland die Frauen als „sorgfältig gezähmte Haustiere“ und sich selbst als wild. Wollen bald lieber kämpfen als fortgesetzt zu gebären. Und tragen eine kleine Schöpfungsgeschichte vor – von der Geburt des Mannes als Beginn der Kolonisation des idyllischen Matriarchats.

Natürlich muss man da nun nicht dokutheaternd die kulturellen Missverständnisse binationaler Partnerschaften fokussieren, aber schön wäre es schon gewesen, die Situationen der Frauen in Maputo und Osnabrück zu differenzieren. Was bedeutet Frau-, was Fremd-Sein da wie dort? „Was können beide Seiten durch diese Spiegelung auch über sich selbst erfahren“, fragt auch die Dramaturgie. Aber die Regie antwortet nicht. Es gibt nur einen kurzen Verweis auf die Polygamie in Mosambik: Jason schlägt Medea vor, als Zweitfrau für seine sexuellen Bedürfnisse bleiben zu dürfen. Ebenso wenig über Deutschland werden die Besucher in Mosambik erfahren, wenn die Produktion dort im August 2018 gezeigt wird. Nur einen kleinen Hinweis aufs Xenophobische erlaubt sich Jason: „Das kann man doch verstehen, wenn sich die Leute beschweren, dass Fremde, Flüchtlinge, in unserer Stadt selbstbewusster gehen als sie selbst.“

Auch musikalisch funktioniert die Kooperation nicht. Klangbastler Ernst Bechert am Mischpult und Laptop sowie Balafon-Spieler Celso Durão finden nie zu afrikanisch-europäischer Musikinteraktion, spielen nebeneinander her ihre leise plörrenden Soundtrack-Tupfer. Ebenso fehlt inszenatorisch die Grenzüberschreitung. Das Theater Mosambiks sei von Tanz und Partizipation geprägt, sagte in einem „taz“-Interview die Projektleiterin und Kostümbildnerin Maria Manuela de Lobão Soeiro, Intendantin des Teatro Avenida. Aber zu erleben ist eine textlastige Umsetzung mit streng abgezirkelter Personenführung in kunstwillig kühlen Arrangements. Neben den Medeas bleiben die anderen Figuren Klischees. Beide Kreusas sind nur Töchter der Machtkaste, die rücksichtslos ihren Weg gehen – Jason 1 und 2 lediglich feige Wichte, tauglich für jedwede feministische Anklage. Sagt der Verführer doch zu Medea: „Wie das Gold deiner Leute nahm ich dich mit, um dich eilig auszugeben, um dich fröhlich zu verbrauchen.“

Das doppelte Spiel zwischen den Kontinenten, Geschlechtern, Kulturen wird so stets nur parallel geführt – und damit eindimensionalisiert. Es bleibt die Wurzel aus „Medea2“: ein bisschen Frauenbefreiungsmythos.