Wie in der Gruppentherapie im Stuhlkreis: Katrin Klein und Helmut Mooshammer, umgeben von Publikum in "zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden"

Diskurspalaver

Eleonore Khuen-Belasi; Lisa Danulat; Svealena Kutschke: ruhig Blut; Entschuldigung; zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden

Theater:Deutsches Theater Berlin, Premiere:08.06.2019 (UA)Regie:Clara Weyde, Peter Kastenmüller, András DömötörKomponist(in):Thomas Leboeg, Lars Wittershagen, Tamás Matkó

Zum Abschluss der Autorentheatertage zeigt das Deutsche Theater Berlin bei der „Langen Nacht der Autor_innen“ die Uraufführungen der drei Theatertexte, die zuvor den Stückewettbewerb gewannen. 

Eleonore Khuen-Belasi: „ruhig Blut“

Vier schwarze Spinnen hängen im Netz aus Seilen, das sich quer über die Bühne zieht. Eine fällt durch die weiten Maschen auf den Boden und wird nicht mehr nach oben gelassen. „Wo, wo, wo ist mein Narrativ?“, schreit sie die Aufführung über, während die anderen herumschwadronieren: „Ich bin ein Spektrum. Und kein Germknödel.“ „Wie fühlt sich das an, ein Spektrum zu sein?“

„ruhig Blut“ heißt das erste Theaterstück der jungen Dramatikerin Eleonore Khuen-Belasi, das vom Schauspielhaus Graz uraufgeführt wurde. Waren bis vergangenes Jahr noch die Wiener Burg und das Zürcher Schauspielhaus die Kooperationspartner des Deutschen Theaters bei der „Langen Nacht“, so sind es nun ausschließlich kleinere Häuser wie Graz und das Zürcher Neumarkt Theater.

Das metaphorische Geraune über die zerbröckelnde Welt hatte zumindest in Khuen-Belasis Text eine charmante Ausgangssituation: Drei Frauen sitzen auf Plastikstühlen am Bordstein und sehen zu, wie sich der Boden vor ihnen auftut. Sie wollen die Löcher stopfen, doch der Asphalt wehrt sich. Dass die Regisseurin Clara Weyde die Straße gegen ein Spinnennetz tauscht, ist optisch reizvoll – lässt das Stück aber weiter ins Ungefähre abdriften. Mehr als Diskurspalaver bleibt nicht hängen.

Lisa Danulat: „Entschuldigung“

Ähnlich unkonkret geht es zu in Lisa Danulats Collage „Entschuldigung“, die von Wiederholungen und Zwischenblenden lebt. Danulat schneidet zwei Frauenbiografien ineinander. Eine Frau vereinsamt in ihrer Familie und beschließt, ins Wasser zu gehen. Die andere hat aus Eifersucht die Familie ihres schwedischen Ex-Liebhabers erschlagen – ein realer Mordfall, der 2008 durch die Gazetten ging. Die Recherchen wirken beliebig, die Einsichten banal – und doch hätte man in den Schwebezuständen zwischen Leben und Tod durchaus Emotionen aufrufen können. Peter Kastenmüller vom Zürcher Neumarkt Theater aber walzt das Stück wie mit dem Bulldozer platt. Ein verulktes Märchen mit ausgestopften Tieren, schrillenden Telefonen und einer Oma auf Skistöcken. Die Verbindung der Frauen bleibt schon im Stück vage – die Regie zersplittert vollends die Zusammenhänge.

Texte, mit denen man selbst „gemeint“ sei, die sich für ein breites Publikum öffnen, sind das definitiv nicht – dabei hatte die Juryvorsitzende Esther Boldt genau darauf den Fokus gerichtet, wie sie in der Eröffnungsrede sagte.

Svealena Kutschke: „zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden“

Immerhin: Im dritten Stück „zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden“ beschreibt Svealena Kutschke eine konkrete gesellschaftliche Situation: Fünf Bewohner eines Berliner Mietshauses breiten in Monologen ihre Projektionen über den sechsten Mieter aus – einen syrischen Geflüchteten. Die Autorin hat, das merkt man, bisher nur Prosa geschrieben: Dialoge, Szenen fehlen.

András Dömötör setzt in der Box des Deutschen Theaters geschickt auf Intimität und starke Schauspieler wie Maike Knirsch und Helmut Mooshammer. Nur 30 Zuschauer sitzen im Stuhlkreis auf der Bühne; wie in einer Gruppentherapie formuliert jeder Spieler seine Gedanken. Jörg Pose als geschmerzter Trinker mit traurigem Humor hört man hier besonders gerne zu. Dömötör immerhin gelingt damit eine alltagsnahe und zugleich poetische Erzählung.

Und doch mag man gar nicht glauben, dass diese drei Texte die beste Ausbeute aus einem Jahrgang mit 113 Einsendungen sein sollen. Die Juryvorsitzende, die als einzige alle Bewerbungen geprüft hat, hat offenbar nur Stücke ausgesucht, in deren gängigen Diskursen sie sich und ihre Generation wiederfinden kann. Womöglich wurden dabei aber substanziellere, widerständigere Perspektiven gar nicht berücksichtigt. Sonst müsste man sich tatsächlich Sorgen machen um die neuere Dramatik.