Foto: Alma Naidu, Wiard Witholt und Claudio Zazzaro in "Angel's Bone" am Staatstheater Augsburg © Jan-Pieter Fuhr
Text:Klaus Kalchschmid, am 5. Februar 2023
Was für eine brutale Geschichte: Zerstrittenes Ehepaar findet vom Himmel herabgestürzte Engel. Doch statt den beiden zu helfen und ihre verletzten, geknickten und blutigen Flügel zu heilen, werden sie in der Badewanne aufbewahrt. Die Frau (Luise von Garnier verkörpert Mrs. X.E. als gefährliche Furie) überzeugt ihren Mann (Wiard Witholt als Mr. X.E. versteckt im großen Körper die Seele eines kleinen Jungen), dem weiblichen und männlichen Engel die restlichen Federn zu rupfen und ihre Flügel abzuschneiden. Fortan werden die beiden als göttlichen Segen spendende Wesen in ihrer Gemeinde und im TV angepriesen und verkauft.
„Girl Angel“ (sehr intensiv und berührend: Alma Naidu als Gast) entkommt kaum einer Vergewaltigung und auch „Boy Angel“ (Claudio Zazzaro bewältigt die hohe Tenor-Tessitura staunenswert und spielt die Verzweiflung großartig) wird immer wieder brutal genötigt. Am Ende martert sich Mrs. X.E. seiner Schuld eingedenk selbst tödlich mit einer der Engelsfedern, die er in einem großen Koffer aufbewahrte und die er den Engeln zurückgeben wollte. Den beiden Engeln gelingt die Flucht und Mrs. X.E., die eigentlich böse Hexe und Lady Macbeth in dieser ganzen Geschichte, jammert in einer Fernseh-Talkshow, dass sie doch gar nicht berühmt („legendary“) werden wollte. Dazu skandiert der Chor: „Battered, Bruised, Beaten, Bloody“. Am Ende infernalisches Lachen, noch einmal Aufbäumen der Musik und abruptes, abbruch-artiges Ende im Black.
Die Oper der chinesisch-stämmigen amerikanischen Komponistin Du Yun auf ein Libretto von Royce Vavrek wurde 2016 in New York uraufgeführt, bekam den Pulitzer-Preis und ist auf CD erschienen. Das Staatstheater Augsburg hat sich die Rechte der europäischen Erstaufführung gesichert und so kam es im Ausweichquartier des Theaters im Martini-Park zu einer dank Antje Schupp (Regie), Christopher Ruder (Bühne), Mona Hapke (Kostüme) und durchweg hervorragendem Ensemble packenden, unter die Haut gehenden Produktion. Und das wohl dank und nicht trotz eines wilden Stilmixes, mit dem Yun das Geschehen grell durch- und ausleuchtet.
Ob es fast traditionelle Madrigal-Engelschöre sind, gesungen von schlicht schwarz gewandeten Männern und Frauen, die buchstäblichen (drei) Posaunen des Jüngsten Gerichts samt Basstuba und zwei Trompeten, die oft die Schmerzensschreien der Engel gellen lassen, hastiges Sprechen über elektronischem Wabern, einsame Geigen- oder Klarinetten-Soli, ja sogar regelrechter Punk Rock: Die 45-jährige Komponistin kennt keine Scheu, sich vieler Idiome zu bedienen, um das Geschehen ins rechte musikalische Licht zu rücken, das die Augsburger Philharmoniker unter Ivan Demidov plastisch ausleuchten.
Geflügelte Bilder
Auch die Szene setzt klare Zeichen. Auf der Bühne kann man dank der charakteristischen Umrisse einen Flügelaltar oder einen Orgelprospekt erahnen und tatsächlich sieht man bald den gewaltigen Isenheimer Altar. Man kann ihn in beiden Versionen betrachten: geschlossen (Kreuzigung), oder geöffnet (dann ist Christi Menschwerdung, also die Krippe, zu sehen und rechts die Auferstehung).
Sobald die Engel geschändet wurden, bleiben auf der Drehbühne nur noch das Gerippe und Leuchtstoffröhren übrig (Bühne: Christopher Rufer). Doch da geht das wüste Geschehen erst richtig los: Die beiden Engel, auf deren Rücken die blutigen Wunden klaffen, wo man ihnen die Flügel herausgerissen hat, werden zum käuflichen Objekt der Begierde gemacht und hinter der eingeblendeten Telefonnummer, unter der man sie buchen kann, lächeln die beiden verschämt zwischen der dreist grinsenden Mrs. X.E. Das fasst alles, was wir heute über Missbrauch und moderne Sklaverei wissen, in ein ätzend klebriges Bild.
Musikalisch stark wird der Abend immer dann, wenn er besonders hart das Geschehen begleitet, oder der Erzengel (ein feiner Countertenor: Constantin Zimmermann), ein zwölfstimmiger „Vokalzirkel“ und/oder der Opernchor des Staatstheaters Augsburg die vielfältigen, überirdischen oder sehr real irdischen Kollektive darstellen. Vielleicht hätte es da der eigenen Version für großes Orchester, welche die Komponistin für Augsburg erstellt hat, gar nicht bedurft, denn so flogen einem die 80 pausenlosen Minuten manchmal regelrecht um die Ohren.