Castorfs Neuinszenierung von „La forza del destin” an der Deutschen Oper Berlin

Die Macht der Assoziationen

Giuseppe Verdi: La forza del destino

Theater:Deutsche Oper Berlin, Premiere:08.09.2019Regie:Frank Castorf Musikalische Leitung:Jordi Bernàcer

Wo Castorf draufsteht, da ist auch Castorf  drin. Das war ein Vierteljahrhundert lang an seiner Volksbühne so. Und das ist auch jetzt in seiner Zeit als „noch Freierer“ so. Egal ob im Schauspiel oder in der Oper: sein kongenialer Bühnenbildner gehört immer mit dazu. Alexandar Denićs Bühnenbauten bürgen für die Opulenz einer speziellen Atmosphäre, sind (alp-)traumhaft und assoziationsoffen. Dabei immer gut für einen Ausflug ins Ungefähre einer Epoche der Vergangenheit und in Gegenden der Welt, deren Geschichte mit uns zu tun hat. Darauf kann man sich verlassen. Bei den Ausflügen in die Oper war das beim „Faust“ in Stuttgart und dem „Totenhaus“ in München so. Exemplarisch beim Nibelungen-Ring in Bayreuth, in dem er den Verlust gleich aller Utopien so dicht an die deutsche Gegenwart heran schwappen ließ, dass ein Teil des Publikums über die Jahre im Protestmodus blieb, während sich ein anderer Teil an der Verführung der Dialektik erfreute.

Die Deutsche Oper an der Bismarckstraße hat Frank Castorf jetzt das erste Mal eingeladen, um Giuseppe Verdis „La forza del destino“, also „Die Macht des Schicksals“ zu inszenieren. Und siehe da: In Charlottenburg funktioniert der Castorfeffekt zuverlässig. Immer noch. Dort hat man schließlich lange genug mit Hans Neuenfels geübt, erst mal bei Ungewohntem zu buhen und dann nachzudenken. Oder es aus Prinzip gleich sein zu lassen. Dabei ist diese Inszenierung ein eher gemäßigter Castorf. Lange nicht so verführerisch packend wie sein Gounod-„Faust“. Und schon gar nicht in der Nähe eines Geniestreichs à la Ring.

Aber doch ein Abend mit einer ganz eigenen Dringlichkeit und immer in Sichtweite zur Vorlage. Natürlich auf Castorfs Art. Mit seinen oft erprobten ästhetischen Mitteln. Er hat nichts gestrichen. Nur etwas hinzugefügt. Zum Beispiel einen Indio, mehr nackt als angezogen, mit Gold behängt und auf High Heels, immer in Bewegung. Auf der Bühne und auf der Leinwand. Ohne die es bei Castorf und Denić natürlich nicht geht. Das ist bei der Herkunft Don Alvaros gar nicht mal so abwegig. Was der verbohrt rassistische Don Carlo di Vargas Mulattenblut nennt, ist in seiner Heimat blaues Blut. Der edle Wilde fern der Heimat. Wider seine Absicht wird er zum Mörder des Vaters seiner angebeteten Leonora und dann auch noch von deren Bruder. Es ist die Macht des Schicksals, die über den freien Willen zum Guten triumphiert.

Zu dem Indio (Ronni Maciel) haben auch die Mönche im Stück offenbar ihr ganz eigenes, auch körperliches Verhältnis. Er ist eine personifizierte Assoziation für alles Mögliche. Ein mal kommt er mit eine Passage aus Heiner Müllers „Der Auftrag“ zu Worte: „Ich bin der Engel der Verzweiflung. Mit meinen Händen teile ich den Rausch aus, die Betäubung des Vergessens, Lust und Qual der Leiber. ….“ Herausgebrüllt, und dann noch mal wiederholt. Auch in seiner (uns) fremden Sprache. Als dann noch Marko Mimicia und Amber Fasquelle (Curra) versuchen, eine englisch gesprochene Passage aus Curzio Malapartes „Die Haut“ einzufügen, sind ein paar Wut-Charlottenburger überfordert. Verstehen nichts mehr. Und übernehmen lautstark. Minutenlang. Als ein Zuschauer auf das „Wir wollen Verdi“ – Gebrüll ironisch mit einem „Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wiederhaben“  antwortet, applaudierten ihm die, die die Ironie erkannten und die, für die das zu hoch war. Metropolig war dieses Charlottenburger Zwischenspiel nicht, höchstens prollig.

Aber sei’s drum. Das Zeitkolorit – Fahnen, Autos und Kostüme – verweist deutlich auf die 1940er Jahre und auf Spanien und Italien. Samt Franco und Mussolini. Ob nun  Spanien oder Italien, darauf kam es hier nicht so wirklich an. Italienische Trikolore und spanisches Olé. Eine Flaggensammlung der Faschisten-Achse samt deutschem Hakenkreuz. Und der Duce als Pappkamerad hinter einer Kamera. Dazu – so wie Schiller seinem Wallenstein-Drama das Lager voranstellte – jede Menge Krieg und Kriegsgeschrei in Chorstärke (einstudiert von Jeremy Bines). Meist in ziemlich lähmend statischen Tableaus. Inklusive Rataplan-Ausreißer mit Preziosilla (Agunda Kulaeva) vorneweg. Darüber im Live-Video ausgiebig blutige Lazarettszenen aus dem Hintergrund. Parallel dazu Rampenruhe für die Sänger. Viel Funken schlug Castorf aus dieser demonstrativ zelebrierten Diskrepanz freilich nicht. Den roten Faden der vertrackten Handlung hat er eh nicht aufgenommen, eher das frei Spiel der Assoziationen. Auf die man sich allerdings bewusst einlassen muss, um nicht abzuschalten. Mit einer kleinen Prise augenzwinkernder Selbstironie. Vorm Kloster etwa gibt es Spaghetti und Tomatensoße für die Armen (wie in Castorfs allererstem Ausflug in die Oper für Desdemona vor ihrem Tod) und eine veritable Schlacht damit, wie früher mit dem berühmten Kartoffelsalat in der Volksbühne. Die Pracht der spanischen Kirchenfassade, der amerikanische Armeelaster, die Insignien des außer-deutschen Faschismus – all das fügt sich zu einem typischen Denić-Bühnenwurf, an dessen Fersen Castorf seine Assoziationswut anschließt. Eine Denić-Castorf Show also.

Bei den Sängern geht Markus Brück als der auf seinen Ehrenmordauftrag fixierte Don Carlo di Vargas als Sieger durchs Ziel. Seine Duette mit Don Alvaro (wohl timbrierte Leidenschaft: Russell Thomas) sind die vokalen Höhepunkte des Abends. Die Südamerikanerin Maria José Siri ist eine respektable Donna Leonora. Misha Kiria als urgewaltiger Fra Melitone und Marko Mimica als raumgreifender Pater Guradian profilieren sich im Ensemble. Das Orchester spielt unter Jordi Bernàcer seine Verdi-Erfahrung zuverlässig aus. Die Castorf-Gegner hatten sich schon vor dem Schlussapplaus verausgabt, waren aber noch lautstark zur Stelle. Die anderen bejubelten die Darsteller und einen Verdi-Abend der etwas anderen Art.