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Die letzte Versuchung der Regie: Bilderflut

Richard Wagner: Tannhäuser

Theater:Theater Dortmund, Premiere:01.12.2013Regie:Kay VogesMusikalische Leitung:Gabriel Feltz

Wie viel Kitsch, Klamauk und Blasphemie verträgt Kunst? Wagner seines pathetischen Nimbus‘ zu berauben, die zweifellos heiklen christlichen Motive ad absurdum zu führen, die überbordende Fülle seiner mythischen und musikalischen Ideen optisch zu konterkarieren – das gelingt am ehesten im „Tannhäuser“ oder „Parsifal“. Kay Voges hat sich als Schauspielregisseur einen Namen gemacht als detektivisch recherchierender Spurensucher mit dem Ehrgeiz, Details zu entdecken, die den Sinn eines Werks für unsere Zeit entschlüsseln. Nun hat Dortmunds Schauspielchef nebenan, im Opernhaus am Platz der Alten Synagoge, zum ersten Mal eine  Oper unter die Lupe genommen und hinterfragt „Tannhäuser“ wahrlich waghalsig: Taugt der Sünder zum Erlöser? Welche Liebe ist die wahre? Beispiel Christus: der steigt vom Kreuz herab, um – dornengekrönt im Traum – in Tannhäusers Gestalt alle möglichen Arten der Liebe auszuprobieren. Schließlich aber klettert er wie ein reuiger Schulbub, barfuß und im Blut besudelten Nachthemd, zurück ans Kreuz, um seine Menschen-rettende Liebesmission auf Erden zu erfüllen.

Vorbild für diese Gedankengänge ist Nikos Kazantzakis‘ Roman „Die letzte Versuchung“. Wer Blasphemie aushält, wird sich bei dieser „Tannhäuser“-Inszenierung bestens unterhalten fühlen. Das Echo aus dem Parkett und von den Rängen hallte bei der Premiere am 1. Advent wie ein gewaltiger, minutenlanger Orkan aus Applaus, Pfiffen, Bravi und Buhs – letztere nur für das Regieteam. Nicht undenkbar, dass diese Inszenierung das gleiche Schicksal ereilt wie den kürzlich nach der zweiten Vorstellung abgesetzten Nazi-„Tannhäuser“ in Düsseldorf.

Dass Wagners Musik sich trefflich als Film-Soundtrack eignet, ist hinlänglich erprobt, am sinnfälligsten natürlich in Verfilmungen von Originalen wie etwa „Rheingold“. Von einem Opernabend, so rechtfertigt Voges sein Konzept, bleiben die Bilder. Über die Zuschauer bricht eine Bilderflut mit der Wucht eines Tsunamis herein, gegen die Christoph Schlingensiefs Bayreuther „Parsifal“-Installation eine respektvoll zarte Annäherung an den Meister ist. Laszives Knutschen von Venus (grandios: Hermine May) und Tannhäuser als dornengekrönter Christus im Unterhemd in Großaufnahme. Später die beiden als trautes Paar: Er lümmelt mit Bierdose und TV-Fernbedienung im Sessel, während sie backt. Wir dürfen erste Ultraschallfotos vom Nachwuchs sehen, dann das goldige Knäblein im Bettchen bewundern, schließlich die Grablege mit den Eltern unterm Regenschirm verfolgen.

Elisabeth (Christiane Kohl) ist aufgebrezelt zwischen sternflammender Königin der Nacht und Jungfrau Maria im tief dekolletierten, spitzenbesetzten roten Dessous – hier im unschuldsvollen Porträt auf die Leinwand projiziert, dort gleichzeitig in ähnlicher Pose als animierter Videoclip, mittendrin singend mit glockenreinem, schlafwandlerisch sicherem Sopran, als wäre sie Pamina. Daniel Brenna in der Titelpartie dagegen, Wagner-erprobt wie Kohl, besitzt einen idealen, leicht metallisch getönten Heldentenor und kämpfte am Premierenabend erfolgreich gegen eine offenbar tiefsitzende Heiserkeit. Als Darsteller – bis zum Rad schlagenden Minnesänger – ließ er sich nichts entgehen. Freilich: in den Turbulenzen ging (nicht nur) sein vielfaches „Erbarm dich mein!“ unter. Seine eindrucksvolle Rom-Erzählung wurde ausnahmsweise nicht von Aktionismen übertüncht. Am schlimmsten traf das „Lied an den Abendstern“ des überragenden Gerardo Garciacano als Wolfram: da starrte man gebannt auf die Großaufnahmen von Elisabeth, die sich in der Badewanne ertränkt.

Die Dortmunder Philharmoniker und Chöre musizierten diese Dresdner Fassung an diesem Abend klangschön unter der Leitung des neuen GMD Gabriel Feltz, der hoffentlich mit dem Orchester noch viel differenzierteren Ausdruck erarbeiten wird.