Die zuvor groß angekündigte Besetzung von Sandra Hüller in der Hauptrolle erfüllt alle Erwartungen. Diese Inszenierung kommt ohne viel Tamtam, ohne aufwendiges Bühnenbild, ohne dominante Kostüme (Bühne und Kostüme: Johannes Schütz) und ganz ohne dramatische Ereignisse aus. Stattdessen: große Konzentration auf die Rollenerarbeitung, auf die Entwicklung und Darstellung der Figuren, auf die unterschiedlich stark ausfallenden Körperlichkeiten und vor allem auf den Text. Die Sätze haben einen besonderen Rhythmus, der von Person zu Person und Inhalt zu Inhalt divers ausfällt. Vor allem Sandra Hüller zeigt, wie viele Facetten die Sprache offenbaren kann. Hamlet ist eine ruhige Figur. Nur vereinzelt kommt es zu Ausbrüchen des Wahnsinns, der ihn vermeintlich befallen hat. Diese Übergänge sind präzise ausgearbeitet. Die Höhepunkte der Inszenierung sind die ruhigen Monologe von Sandra Hüller, in denen die Schauspielerin mit der Kraft der Sprache die Gefühle, Gedanken und Stimmungen von Hamlet zeigen kann, ohne sich viel bewegen zu müssen. Doch bei all dem Lob für Sandra Hüller seien auch die anderen Schauspielerinnen und Schauspieler nicht vergessen, die den Abend auflockern, stets neu beleben. Mit Slapstick, einzelnen Worten, Anspielungen auf aktuelle Tagesthemen wie den „Brexit“ oder kleinen Bewegungen schaffen sie es, der Schwere des Themas eine Leichtigkeit zu geben, ohne dabei zur Komik zu wechseln: Es bleibt die Geschichte der tragischen Figur Hamlet. Herauszustellen hierbei ist die Darstellung der Ophelia (Gina Haller). So eine Ophelia sieht man selten: Es ist keine liebe, naive, romantisierte Figur. Stattdessen zeigt die Darstellerin mit tänzelnder, großer und fließender Bewegung sowie dem Ausdruck ihrer Worte: Diese Ophelia ist nicht schutzbedürftig, sondern eine selbstbewusste, eigensinnige und sarkastische Frau. Ihr Wahn am Ende ist keine Überraschung, sondern baut auf das Vorherige auf. Ophelia tritt nicht nur als Geliebte auf, sondern auch als Hamlets Freund, was sich darin zeigt, dass sie einige Textpassagen von Horatio übernimmt, der in der Inszenierung nicht vorkommt.
In der Darstellung der Figuren tritt klar zutage, wie intensiv die Findungsprozesse vonseiten der Darstellenden, der Dramaturgie und der Regie gewesen sind, wie die Figuren gemeinsam ausgearbeitet wurden und die Schauspieler auch persönliche Aspekte mit in die Rolle brachten. Dabei wurde die Handlung von „Hamlet“ nicht vergessen. Denn das unvermeidliche Ende ist allgegenwärtig, eingelassen im Bühnenraum befindet sich ein großes Grab. Nachdem sich das Ensemble von den Plätzen in der ersten Reihe des Zuschauerraums erhoben hat, tritt es hier auf und treibt das Geschehen voran. Über dem weißen Becken schwebt eine Balkenkonstruktion. Auf der einen Seite hängt ein weiß leuchtender Ball, auf der anderen eine kupferfarbene Wand. Einerseits eine Waage, die versucht, die Welt im Gleichgewicht zu halten, andererseits eine Uhr, die von Laertes (Dominik Dos-Reis) rückwärts gedreht wird. Ordnung scheint relativ. Am Ende rollen metallische Kugeln (Totenschädel!) im Becken herum und die vier Toten nehmen ihre Plätze im Grab ein.