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Die Ideologen Gottes

Richard Wagner: Parsifal

Theater:Staatstheater Braunschweig, Premiere:05.10.2013Autor(in) der Vorlage:Wolfram von EschenbachRegie:Yona KimMusikalische Leitung:Alexander Joel

Anfangs wiegt Yona Kim die Zuschauer ihrer „Parsifal“-Inszenierung am Staatstheater Braunschweig erst mal in Sicherheit. Zwar entspricht dieser kubische Stahlplattenkäfig, den ihr der Bühnenbildner David Hohmann gebaut hat, nicht direkt jenem „Wald, schattig und ernst, doch nicht düster“, wie ihn sich Wagner für die Anfangsszene vorstellt. Und die Gralskluft mit dem unter modernem Business-Outfit getragenen Chorhemd, in die Hugo Holger Schneider die Ritter und Knappen gesteckt hat, kommt auch nicht unbedingt aus dem Konfektionskatalog für Tempelritter. Aber man tut gut daran, sich an dieses Setting zu gewöhnen, denn es wird in unterschiedlicher Abwandlung alle drei Akte prägen und dabei durchaus Bildkraft entfalten. Und die Regisseurin erzählt zumindest anfangs „die Geschichte“, wenn auch mit ein par Irritationsmomenten. Die Gralsgemeinschaft etwa stellt sie als autoritäre Clique mit Bunkermentalität dar, in der Gurnemanz mit seiner Rute den Einpeitscher der Indoktrinierung gibt. Aber das ist eigentlich ja auch nur ein Klischee des ideologiekritischen Regietheaters mit verbrauchtem Irritationswert.

Allerdings, das wird bald als Verdacht spürbar und spätestens im letzten Akt zur Gewissheit: Solchen Regieklischees traut Yona Kim ebenso wenig wie Wagners pseudoreligiöser Gralsideologie. Den einen wie dem anderen verweigert sie sich unter anderem dadurch, dass sie die Handlung keineswegs mit einer kohärenten Gegen-Lesart überformt. Sie macht aus dem Bühnenweihfestspiel kein Regie-Weihfestspiel für die „richtige“ Inszenierung. Eher schon überlagert sie es mit szenischen Assoziationen, die zwar nicht immer treffsicher sind, sich am Ende aber doch zu einer vielschichtigen Einrede gegen den Vereinnahmungsgestus von Wagners letzter Oper verdichten.

Entsprechende Spuren legt die Regisseurin früh. Schon wenn bei der für Amfortas so schmerzensreichen Gralsenthüllung im ersten Aufzug (der Gral selbst ist ein Kubus, dessen Gitterstruktur Assoziationen zu Hohmanns Ideologie-Bühnenbunker zulässt) die Ritter Michelangelos „Abendmahl“ nachstellen, könnte einem der Verdacht kommen, die ganze Gralsshow sei ein ausgemachter Fake. Der Verdacht wird auf der Karfreitagsaue zur Gewissheit. Die „Blumen“, die hier erblühen, sind die Blumenmädchen aus dem zweiten Akt. Schon dort waren sie als ziemlich billige, staksig verrenkte Amüsierpüppchen gezeigt worden. Nun suchen sie, gebrochen und verloren nach Parsifals Sieg über Klingsor, im Gralsgebiet Zuflucht. Doch Gurnemanz’ Reaktion spricht Parsifals Hoffnung, dass auch sie, bekehrt, „nach Erlösung schmachten“, Hohn. Ausgerechnet hier, wo davon die Rede ist, dass der Mensch am Karfreitag auch Halm und Blume auf der Aue „schont mit sanftem Tritt“, wendet Gurnemanz Parsifal ab von denen, die wirklich der Schonung bedürftig sind. Die Botschaft des Mitleids geht an denen vorbei, die ihrer am meisten bedürfen.

Bei der finalen Gralszeremonie schließlich wird aus dieser Mitleidslehre vollends zynische Ideologie: Die Ritter ermorden Titurel, um Amfortas ein letztes Mal zur Enthüllung des Grals zu zwingen, und Parsifal schwingt sich zum Führer einer Religion auf, die über Leichen geht. So, als Mörder, hatte er sich schon im ersten Akt eingeführt: Opfer seines Pfeils war hier kein Schwan, sondern einer jener unschuldigen Knaben, die die Gralsritter offenbar früh als Gotteskämpfer rekrutieren und indoktrinieren. Auf der Karfreitagsaue war er dann bereits als traumatisierter, waffenstarrender Kämpfer erschienen, zum Entsetzen Kundrys, die sich strikt weigert, in diesem Ritter den „Erlöser“ zu sehen (Gurnemanz hatte ihm im ersten Aufzug dieses Wort mit Fragezeichen aufs weiße T-Shirt geschrieben). Es ist Kundry, die den Gegenpol zu dieser sich neu formierenden mörderischen Ideologie verkörpert. Durch Gesten und Körpersprache zeigt sie ihren Abscheu über Parsifals Mitmachen bei der repressiven Gralsgemeinschaft.

Das alles mag ein bisschen verkopft klingen und ist es streckenweise auch, weil Yona Kim sich mit einigen Einfällen arg in Randglossen verzettelt. Insgesamt aber bleibt eine kluge Inszenierung in Erinnerung, die das Werk in starken Bildern kritisch befragt und dabei aktuelle Denkanreize zum Spannungsfeld zwischen Religion, Politik und Ideologie bietet, ohne sich auf platt-realistische Eins-zu-eins-Aktualisierungen einzulassen..

Stark als Sängerin wie Darstellerin ist auch Morenike Fadayomi. Sie ist zwar keine ideale Kundry, dazu fehlt es ihr an Ebenmäßigkeit im Legato und Klarheit im Timbre. Aber ihre sängerdarstellerische Präsenz ist überwältigend, die Stimme mit ihrem lodernden Forte und der dunkel glühenden Mittellage hat enorme expressive Kraft. Dominik Wortig hat bei weitem nicht dieses Charisma, aber sein dunkel-viriler Tenor mit Kultur und Kraftreserven harmoniert bestens mit dieser Kundry, so dass das große Konfrontations-Duett im zweiten Akt zum musikalischen Höhepunkt des Abends wird. Selçuk Hakan Tirasoglu ist ein Gurnemanz von imposanter Statur mit knorrigem Bass, dessen Charakteristik Yona Kims Umdeutung zum autoritären Oberideologen gut beglaubigt, der seiner Partie aber musikalisch das balsamische Legato ebenso schuldig bleibt wie die sinnerfüllte Diktion. Orhan Yildiz singt einen erstaunlich stilbewussten Klingsor: dunkel, schlank, ausdrucksvoll und dankenswerterweise ohne die sonst so oft gehörte Kraftbrüllerei als Verderbtheits-Beglaubigung. Oleksandr Pushniak schließlich gibt dem Amfortas dunkle, weiche Fülle, etwas waberig im Vibrato.

Ihnen allen ist der Braunschweiger GMD Alexander Joel ein umsichtiger Begleiter, das Staatsorchester leitet er zu einer zügigen, facettenreichen Interpretation an, der allerdings eines weitgehend fehlt: die Rücknahme des Klangs ins ausdruckvolle Piano, die im „Parsifal“ eine keineswegs zu vernachlässigende Ausruckdimension ist. Auch die Chöre, teils per Lautsprecher zugespielt, klangen streckenweise turbulenter, als man es von ätherischen Gralsgesängen erwarten würde. Das Publikum reagierte mit großer Begeisterung, nur am Regieteam schieden sich bei der Premiere die Geister. Und das darf bei einer Inszenierung, die die Ideologie des Werks kritisch abklopft, durchaus auch so sein.

Termine:

13.10.2013

02.11.2013