Er scheint sich in einer hermetisch abgeschlossenen Blase zu bewegen. Darin kreisen die Gedanken, die Zweifel, der Hass. Die zur Rache anstachelnden Botschaften des ermordeten Vaters kommen von außen, aus einer anderen Sphäre, dem Jenseits, und lösen im Kopf des Protagonisten eine Art Psychose aus. So gesehen liegt es nahe, die Figur von Shakespeares Hamlet in den virtuellen Raum zu katapultieren, wo soziale Distanz, aufwiegelndes Schwadronieren und kognitiver Kontrollverlust zum Nährboden für gesellschaftliche und familiäre Gewalt werden. Mit dem digitalen Familiendrama „Enter Hamlet“ reflektiert das Künstlerkollektiv „Die Azubis“ auf der Streaming-Plattform des Hamburger Lichthof Theaters indirekt auch das Phänomen der Zwangsvereinzelung durch Corona. Die Live-Aufführung findet im Rahmen einer Zoom-Konferenz statt. Rund zwanzig Zuschauer zählt man in den Videokacheln. Eine technische Einweisung soll dafür sorgen, dass die Bild-Ton-Übertragungen aus den Privatwohnungen der Darsteller Kai Fischer, Christopher Weiß und Lisa Apel reibungslos gelingen. Die virtuellen Besucher werden ausgeblendet, das Spiel beginnt.
In den kommenden 70 Minuten gucken wir durchs digitale Schlüsselloch in Küchen und Wohnzimmer. Wir sehen Claudius, den Bruder und Mörder von Hamlets Vater – hier gespielt von Lisa Apel –, als aggressiven Fußballfan vor der Glotze. Sehen Christopher Weiß als Polonius, den Vater von Hamlets geliebter Ophelia, mit nacktem Hintern bei der Suche nach seiner Hose und später auf dem Klo sitzend. Wir sehen Gesichter, die direkt in die Webcam sprechen, oder werden Zeuge, wie die Kamera ohne Wissen ihrer Besitzer Intimstes in den digitalen Äther bläst. Die Darsteller wechseln flugs die Kostüme, während das Kamerabild einen anderen Ort zeigt – etwa die kleine Spielzeuglandschaft, in der Hamlet als Legofigur agiert und den ebenbildlichen Vater betrauert, der auf einem Smartphone liegt und sich per WhatsApp-Nachricht aus dem Jenseits meldet.