Die Eignung des Materials zum Spiegel einer ewig mehrspurigen Realität ist in der Tat frappant: Ganz im globalen, medialen Geist vernetz er die drei scheinbar unvereinbaren Geschichten zu einer dreiaktigen Einheit und löst im Gegenzug die drei Geschichten in kleine parallele Einzeldramen auf: In „Mörder, Hoffnung der Frauen“, nach dem Schauspiel von Oskar Kokoschka, zerlegt Biganzoli den archaischen, in der Niederlage der Frau endenden Machtkampf zwischen Mann und Frau in drei moderne, ambivalente, voneinander unabhängige Paarepisoden, die sich simultan in den kleinen Zimmerchen und Korridoren eines zweistöckigen „Raumgebirges“ (Bühnenbild Wolf Gutjahr) auf konstant sich drehender Bühne abspielen: Ein hoffnungsvolles Blind Date, eine Paarbeziehung, die sich von gegenseitiger psychischer und physischer Demütigung nährt und ein verzweifelter Nymphomane, der aus seinem Zwang, erotische Verbindungen zu ständig neuen Frauen einzugehen, keinen Ausgang findet. Erstaunlicherweise lässt die expressionistisch abstrakte Textvorlage diese episodische Zergliederung auch wirklich zu. Der stilisierte Stoff wird durch die konkreten, größtenteils fingierten Einzelhandlungen zu einer Sinnfälligkeit und Nachvollziehbarkeit aktualisiert, die sich auch mit der stark gestischen Partitur voller Anspielungen und Zitate zu vereinbaren vermag.
Einziger „operativer“ Eingriff sind Umverteilungen des Texts unter den Figuren. Im Psychodrama „Sancta Susanna“ – welches hier nicht, wie von Hindemith vorgesehen und dem Modell von Puccinis „Trittico“ entsprechend, in der Mitte des Triptychons, sondern an dessen Ende steht – bringt Biganzoli die junge Nonne Susanna (Lina Liu) einerseits in Personalunion mit der sündigen Magd und verteilt sie andererseits auf die unterdrückerische, alte Ordensschwester um. Das führt zu einer erheblichen Veränderung der Handlung, quasi zu einem neuen Drama mit gleicher Thematik: sexuelle Repression im religiösen Kontext. Diese spitzt Biganzoli aber gerade dadurch zu, dass er den größten, umstrittensten Sprengkörper des Stücks entschärft: Susanna begehrt hier nicht mehr den Leib Christi am Kreuz, sondern einen Mann aus Fleisch und Blut. Das Paar kennt man schon: In „Mörder, Hoffnung der Frauen“ hatte es sich zum Blind Date getroffen. Diese Dramaturgie aus scheinbar isolierten Episoden erinnert an überlagernde Erzählstrukturen wie im Film „Babel“ von Alejandro González Iñárritu oder „Night on Earth“ von Jim Jarmusch. Nur selten erlaubt die Partiturgebundenheit der Oper eine solche filmorientierte Umsetzung, wie sie Biganzoli hier überzeugend realisieren konnte.
Die Sopranistin Lina Liu verbindet ihre drei Rollen mit einer stimmlichen wie dramatischen Intensität, die bereits in Blind Date und Maskerade verrät, dass für sie alles auf dem Spiel steht, wie sich in Sancta Susanna schließlich herausstellt. In solchen episodenübergreifenden Figuren offenbart sich der Kern dieser Inszenierung: Zwischen Privatheit und Öffentlichkeit zerrissene, umso realistischere Charaktere.
Bild und Musik stehen sich als spannungsvolle Gegenpole gegenüber: Alltägliche Beziehungsabgründe konterkarieren in „Mörder, Hoffnung der Frauen“ den heroischen Charakter der an Strauss und Wagner anklingenden Partitur, die das Osnabrücker Symphonieorchester unter der Leitung von Andreas Hotz klar artikuliert, allerdings mehr objektiv als impulsiv, sodass den Streichern in den Höhen bisweilen etwas der Glanz abgeht. In „Sancta Susanna“ klaffen die neonbeleuchtete Zelle und die sinnlich-atmosphärischen Klänge aus dem Orchestergraben genau so eklatant auseinander wie Susannas aufflammende Leidenschaft und ihre lähmende Gefangenschaft. „Das Nusch-Nuschi“ indes bezieht seine ganze komische und phantastische Energie aus der parodistischen Musik, die nicht zögert, ein „Till Eulenspiegel“-Zitat einem „Tristan“-Zitat hinterherzuschicken, wofür Biganzoli Wagner sogar selbst auftreten lässt. Und das mysteriöse Nusch-Nuschi? Ist eine Papptellerfiktion.