"Zwei Uhr Nachts" von Falk Richter am Schauspiel Frankfurt

Die Einsamkeit der Hyperaktiven

Falk Richter: Zwei Uhr Nachts

Theater:Schauspiel Frankfurt, Premiere:01.02.2015 (UA)Regie:Falk Richter

Falk Richter hat in den letzten Jahren eine auch anderswo verwendete Theaterform zur Perfektion gebracht, die Kombination von Schauspiel, Video, Tanztheater und Konzert. Dieses multimediale Theater passt genau zu seinen Themen: Er porträtiert den Großstädter von heute, den leitenden Angestellten, den Hyperaktiven, den Facebook-Nutzer, der alle Informationen hat und damit überfordert ist, den beziehungsgestörten Menschen, der verzweifelt nach Liebe sucht. Seine Stücke wie „Trust“, „Never forever“ oder „Small Town Boy“, alle in Berlin aufgeführt, kreisen um diese Themen. Er gilt als einer der innovativsten deutschen Theaterleute, hat aber zunehmend auch Kritik erfahren: Seine Produktionen ähnelten zu sehr René Pollesch, er schreibe immer dasselbe Stück, sogar Verzweiflungskitsch wurde ihm vorgeworfen.

Den Frankfurter Theaterbesuchern, zu denen auch der Rezensent gehört, kann das erstmal egal sein. Er sieht mit „Zwei Uhr Nachts“ zum ersten Mal eine Richter-Produktion, und der Vergleich mit Pollesch, der auch in Frankfurt inszeniert hat, fällt zu Gunsten von Richter aus. Den mit der Sinnlosigkeit kokettierenden Pollesch-Menschen stellt er den Richter-Menschen gegenüber, der keinen Ausweg mehr weiß, es sei denn der ironische Umgang mit der Verzweiflung.

Richter hat sein Stück, das innerhalb der Reihe „Frankfurter Positionen“ noch bis Ende März gezeigt wird, ganz auf Frankfurt zugeschnitten. Die Schauspieler sind aus dem hiesigen Ensemble, den Videokünstler Chris Kondek und die Musiker hat er mitgebracht, vor allem den isländischen Sänger Helgi Hrafn Jonsson, dessen wunderbare Songs die Aufführung davor bewahren, in der Depression zu versinken. Das Stück erzählt keine Geschichte, sondern besteht aus einer lockeren Folge von Monologen.

Constanze Becker, gerühmt für ihre Medea, eröffnet den Reigen der Monologe mit einem langen Telefongespräch mit einem Mann, der ihr Gatte oder ihr Angestellter sein kann und vielleicht beides ist. Sie macht ihm Vorwürfe, macht sich Sorgen, weil er sich nicht meldet und kontrolliert ihn: „Ich kann das doch hier alles über den Firmenserver sehen“. Lisa Stiegler, in wenigen Jahren von der Anfängerin zur Protagonistin des Ensembles geworden, beobachtet und kontrolliert Menschen mit den Möglichkeiten der neuen Technik: „Anstatt rauszugehen, skype ich hier mit irgendwelchen Leuten, die mir total fremd sind, zum Beispiel meinen Eltern.“ In immer neuen Anläufen umschreibt sie ihr Leben: „Ich bin das nicht. Ich will das alles nicht. Ich will das alles nicht sein. Ich weiß nicht, was ich will, für mich und mein Leben. Ich kann das nicht. Nicht jetzt. Ich will das nicht, ich bin das nicht. Ich kann mich gerade nicht entscheiden.“ Marc Oliver Schulze experimentiert ganz vorsichtig mit dem Optimismus: „Wir wissen doch, wie es richtig geht. Loslassen, einfach loslassen, in der Gegenwart leben. Heilung annehmen und lange Spaziergänge machen!“

Die Schauspieler tanzen auch, das ist keine Erholung für sie, der aggressive Körpereinsatz wendet nach außen, was in ihrem Inneren verborgen ist. Richter hat früher mit anderen Choreographen zusammengarbeitet, jetzt macht er das selbst. Die Einzelaktionen verbinden sich am Ende zu einem großen Finale, fast wie bei einem Musical. Videobilder sind jetzt auf fünf Leinwänden, Großstadtpanoramen, Hotelzimmer. Schließlich steuert alles auf die im Titel genannte Uhrzeit zu, wo der Mensch besonders einsam ist. Noch einmal Marc Oliver: „Um zwei Uhr nachts schalte ich den Fernseher an, und diese Bilderflut stürzt auf mich ein, und ich kann diese Bilder alle nicht prozessieren, und ich kann keine Haltung dazu entwickeln, und ich bleibe hängen auf dem Bibelkanal und dann auf dem Astrokanal und dann auf dem Katzenpullis für 12 Euro 50 Kanal.“ Später dann: „Um zwei Uhr nachts fasse ich endlich einen Entschluss.“ Aber welchen? Den Weg in die Natur? Auf der Bühne stehen nun Blumenkästen, ein kleines Campingzelt und ein paar Utensilien für das Leben draußen, auch zwei Bücher. Nach der heftig beklatschten Aufführung kann man einen Blick auf sie werfen: Hölderlin und Luise Rinser.