Da ist zum einen die erfreuliche Präsenz und Schalkhaftigkeit von Georg Nigl als Priester des Gottes beziehungsweise schließlich als Gott selbst. Denn schon während der Ouvertüre steigt der Spielmacher aus dem oberen Stock eine Treppe hinab auf die Spielfläche und zeigt im herausfordernden Blick auf Chor wie Publikum, dass nur er hier die Regeln des Spiels aufstellt – und es ihm dabei eher um Unterhaltung als um Menschenfreundlichkeit geht. Wie Nigl die weite Bühne (Leo de Nijs) dominiert, markiert einen viel versprechenden Start und setzt an starkes schauspielerisches Element in dem italienisch gesungenen Opernabend. Auf weißen Billig-Plastikstühlen sitzen schon die Volksfiguren des Chores MusicAeterna (aus Perm) am Ende der mindestens fünfzig Meter weiten Bühne; die Spielfläche mutet auf schwarzem Plastikboden wie eine Arena in Richtung Tod an. In der Mitte ist das B`Rock Orchestra unter der Leitung von René Jacobs postiert. Und ihm gegenüber sitzt auf der Längsseite Publikum, ebenfalls auf der (höheren) Tribüne zur Rechten des Orchesters. Hier findet sich auch in der Mitte die arenataugliche Lücke für Auf-und Abtritte ins Totenreich.
Dem dramatisch-virilen Spiel Nigls entgegengesetzt ist schon die getragene Musik Glucks, die das große Leid und die tragischen Spannungen um Ersatztod und sinnlos vertauschtes Leben für heutige Ohren ziemlich moderat und harmonisch in Molltönen hält. René Jacobs dirigiert die Musik angemessen ruhig-fließend, aber eben auch nicht sonderlich spektakulär. Der fast dauerhaft anwesende und immer wieder den Sologesang ergänzende, dabei aber etwas behäbig agierende Chor scheint irgendwie für das menschliche Mittelmaß zu stehen, das zu gerne am Leben festhält. Spätestens wenn in der Tempelszene, in der der schelmisch-boshafte Priester die Rettung Admets zu Ungunsten eines anderen artikuliert, weitere Stühle vom himmlischen Oben auf die Bühne gekippt werden, wird unter dem Motto „Brot und Stühle“ deutlich, dass die Biligsitzgelegenheiten Simons Metapher für das beschränkte, niveaulose Kleben am Leben sind. Auch die Alceste bleibt bei aller inneren Größe (oder Verrücktheit) mit dieser Durchschnittswelt verbunden. Birgitte Christensen sitzt meist auf einem der Stühle und ist weniger eine ausgefallene Heldin als eher eine Frau von nebenan. Auch wirkt diese Alceste, die feurige Liebende, die trotz ihrer Entscheidung zum Opfertod hin und hergerissen bleibt und eigentlich ja eine ziemlich wahnsinnige Entscheidung trifft, stimmlich zwar solide, darstellerisch aber sehr unauffällig. Im Abschied vom Gatten Admeto (ein lebhafterer Thomas Walker) entsteht kaum Spannung, geschweige denn Betroffenheit.
So rückt in dieser „Alceste“ die Priester-Gott-Figur ins Zentrum, die Hauptfigur Alceste verblasst, lange bevor sie auch im Spiel ihr Leben aushaucht. Die Heldin fällt aus in diesen drei Stunde; doch damit ist auch die packende Nüchternheit des Finales etwas teuer erkauft. Der Start der Ruhrtriennale bietet also eine wenig lebhafte Geschichte um Tod und Leben. Zumal im zweiten Teil die Auftritte des boshaften priesterlichen Spaßmachers fehlen, von dem man wiederum gerne noch mehr gesehen hätte.