Foto: Links Penthesilea (Eka Nizharadze) und rechts Acibie
(Anano Makharadze) im Disput. © Jasmin Schuller
Text:Anna Opel, am 24. Februar 2024
Die in Georgien geborene Schriftstellerin und Theatermacherin Nino Haratischwili hat sich den Penthesilea-Mythos vorgeknöpft. Mit einem kleinen deutsch-georgischem Ensemble inszeniert sie ihre Version als düsteres Kammerspiel um Liebe und Krieg. Die Zweisprachigkeit der ProtagonistInnen hebt die Fremdheit zwischen der Amazonenkönigin und dem siegreichen Griechenführer hervor.
Die stolze Königin Penthesilea (Eka Nizharadze) hat ein Problem. In der Schlacht gegen den Griechen Achill hat sie den Hass verlernt. Aus dem Totenreich heraus erzählt Almut Zilcher als tote Penthesilea die Geschichte. Gekleidet ganz in schwarz mit einem riesigen weißen Seidenrock, der wie ein Brautkleid um sie her die Bühne bedeckt.
Dem kriegsmüden, angeschlagenen Achill, der jüngst seinen Freund auf dem Schlachtfeld verlor, ist Penthesilea verfallen und droht gegen den heiligen Schwur der Amazonen zu verstoßen: Männer werden im stolzen Frauenvolk gefesselt und nur zum Zweck des Gebärens herangeholt, getötet nach dem Akt. Nie berührt die Hand der Amazone einen Mann. Denn die Erfahrung hat gelehrt: Männer machen Frauen zur Beute, kolonisieren ihre Körper. In einer starken Szene erinnert ihre Gefährtin Alcibie (Ananao Makharadze) die liebestolle Herrin daran. Diese stürzt sich dennoch in die Krise, in den sicheren Tod. Wie Achill vergisst Penthesilea über dem plötzlich wie eine Naturgewalt über sie hereinbrechenden Begehren, was zu tun ist. In diesem Stück wird die Liebe der Königin zum doppelten Irrtum, wird angesichts des Sterbens um sie herum obszön.
Flammende Reden und Zweisprachigkeit
Unter einem Iglu aus weißem Stoff, dem Rock der weisen Erzählerin, vereinigen sich zu kitschigen Popklängen (Live-Musik Nestan Bagration-Daviashvili, Andreas Reihse) die Körper der Liebenden. Doch das Glück ist kurz, der Showdown, als sie sich am nächsten Tag gegenüberstehen, unausweichlich. Achills Waffenträger Thersites (Jens Koch) und Penthesileas treue Begleiterin Alcibie halten flammende Reden, bezahlen dafür mit dem Tod.
Penthesilea und Achill (Manuel Harder) im letzten Kampf, rechts Almut Zilcher (ebenfalls Penthesilea, Erzählerin). Foto: Jasmin Schuller
Nino Haratischwilis Inszenierung des Penthesilea-Mythos krankt an zwei Problemen: Das große Gefühl zwischen den Großen der Schlacht bleibt Behauptung. Fremd stehen diese beiden voreinander, ihre offenkundigen Gegensätze ziehen sich kein bisschen an. Und das liegt nicht daran, dass Penthesilea georgisch spricht, die Muttersprache der Autorin. Rau und kehlig stößt die Königin ihre Sätze hervor. Achills selbstgefällige Schnoddrigkeit, vorgetragen auf Deutsch, prallt ab an ihrer kühlen Autonomie. Wenn sie ihn trotzdem zum Tête-à-tête in ihr Zelt lädt, wenn sie widerstrebend ihre sexuelle Unerfahrenheit explizit bespricht, „Mit wie viel Frauen hast du schon?“ wird es arg banal. Die stolze Königin auf Westentaschenformat gebracht, ihr Mythos im Spiel verteidigt, vom Text jedoch untergraben.
Perspektive außerhalb der Reichweite
Die Musik mit ihren minimalistischen Patterns, das Pathos der sich wie von Geisterhand drehenden Bühnenelemente (Julia B. Nowikowa), die stylisch-martialischen Kostüme (Gunna Meyer), die starken Schauspielerinnen aus Tiblis. All das hilft nicht, Dringlichkeit und Rang der Geschichte über die Rampe zu bringen. Das ist bedauerlich, denn der Irrsinn des Krieges, Geschlechterverhältnisse im Patriarchat, Verantwortung des Individuums gegenüber dem Staat und wie das alles zusammenhängt, das hätte uns aus der fernen Perspektive des georgischen Ensembles besonders interessiert.
Ein Monolog des verzweifelten Thersites handelt von all dem, als er seinen Herren beschwört, die Barbarei nach neun langen Kriegsjahren zu beenden. Es ist die stärkste Passage des Abends. Doch Achill ist unstoppable in seinem privatistischen Liebeswahn. Thersites bezahlt die Wahrheit mit dem Tod, die Helden sehen schwach aus und die Produktion entlässt die Zuschauerin mit zwiespältigen Eindrücken.
Darstellung der Amazonen
„Mit der Penthesilea kann ich mich noch nicht befreunden“ schrieb Goethe dem Dichterkollegen Kleist. Die Wildheit der Amazonen war für Kleists Zeitgenossen ein Schocker, als das Trauerspiel Penthesilea im Jahr 1807 erschien. Das wahrlich Subversive der Amazonen scheint bei Haratischwili in der Figur der Alcibie und ihrer Schauspielerin auf, in ihrem wilden Haar, ihrem durchdringenden Kriegsgeheul, ihrer Unbestechlichkeit. Wo nur bleiben solche Amazonen?
Die Uhr tickt auf der Bühne und im richtigen Leben. Jede Minute sterben Frauen, Männer, Kinder, werden Traumata und neuer Hass gesät. Frauenkörper sind und bleiben Schlachtfeld und Beute, in der Ukraine wie beim Terrorangriff der Hamas im Oktober, in allen militärischen Konflikten auf der Welt.