Foto: „Wagner Weltweit“ in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin © Juha Hansen
Text:Matthias Nöther, am 14. Juni 2025
Man wird wohl nie herausfinden, was und wieviel Dmitri Utkin tatsächlich über Richard Wagner gewusst hat, als er die mörderische Gruppe Wagner einst in Russland gründete. Den Abend „Wagner Weltweit“ zeigt das Musiktheater-Kollektiv „Sounding Situations“ in einer Koproduktion mit Kampnagel Hamburg auch in der Tischlerei der Deutschen Oper Berlin.
Man könnte auf den Gedanken kommen, dass es um die internationale Erfolgsgeschichte von Richard Wagner geht. Es geht aber um die Gruppe Wagner und die hat uns mit ihrer Namensgebung in Erinnerung gerufen, wie grausam Deutsche und Russen sich im Zweiten Weltkrieg ineinander verhakt haben, vielleicht auf immer. In der paramilitärischen Szene Russlands zumindest scheint der Name Wagner in erster Linie mit archaischer Grausamkeit assoziiert zu werden. Die deutsche Wehrmacht brachte schließlich einst ihren eigenen Lieblingskomponisten gepaart mit Bomben und Granaten nach Russland.
Zwischen Realpolitik und Mythos
Der Kitt dieses zerklüfteten Abends mit vier Musikern und zwei Sängerdarstellern besteht einerseits in Wagners „Ring des Nibelungen“, andererseits in der Bekanntheit der Gruppe Wagner durch ihre Prominenz in der Nachrichtenlage der letzten Jahre. Mindestens vom Beginn der russischen Ukraine-Invasion bis zum Tod von Söldnerführer Prigoschin hat jeder von dieser Riesen-Miliz erfahren, nicht zuletzt die Erschlagung eines einzelnen Gefangenen mit einem Hammer brannte sich archetypisch in unser News-Hirn ein.
Es gibt in der textreichen Aufführung nur vereinzelt Anspielungen auf solche Ereignisse und doch merken wir auf diese Art nochmal, wie sehr die Gruppe Wagner auch Bestandteil unserer eigenen kognitiven Dissonanz ist: Mit ihrem zerstörerischen Nihilismus enthält sie alle Elemente, um die Grundlagen unseres westlichen Individualismus anzuzweifeln. Selbstverständliche Verbreitung von Lügen als „Gegen-Wahrheiten“, Vergewaltigungen und Massaker als alltägliches politisches Mittel. Deshalb können vermutlich auch alle in der Tischlerei etwas damit anfangen, wenn der Absturz des Prigoschin-Flugzeugs, begleitet von Social-Media-Posts auf Screens am Rand der Bühne, zu einem Showdown der Aufführung wird.
Und alle wissen: Mit Putins mutmaßlicher „Notbremse“ für den selbstherrlichen Kriegsherrn ist das Unwesen der russischen Wagner-Schattenarmee in Afrika vermutlich nicht beendet. Weiterhin ist die Gruppe in politisch fragilen und zivilgesellschaftlich ausgehöhlten Regionen des Kontinents zerstörerisch und ausbeuterisch aktiv – wie ja auch Wagners „Ring“ nach der „Götterdämmerung“ wieder von vorne beginnt.

Das Musik-Setup von „Wagner Weltweit“. Foto: Juha Hansen
Tatsächliche Verbindungen zwischen der Gruppe Wagner und dem „Ring“ gibt es eigentlich nicht – für „Sounding Situations“ ist es aber genau aus diesem Grund ein inspirierendes Vergnügen, solche Verbindungen herzustellen. Wagner-Erfinder Utkin und seine Schergen gewinnen mal durch Alberichs, mal durch Siegfrieds, mal durch Brünnhildes Textparts Gestalt: Eine Größe dieser Produktion besteht darin, dass sie einen Aspekt des Geistes von Wagners „Ring“ in überpersonellen Affekten zusammenfasst.
Zum Beispiel Rachedurst, von dem die betrogene Brünnhilde in der „Götterdämmerung“ singt. Er wird gemünzt auf die Gefühle eines Wagner-Söldners, dessen Bataillon einmal von US-Amerikanern bombadiert wurde, weil Putin selbst die Gruppe nicht schützen wollte.
Pussy-Riot-Ästhetik
Die belarussische Sängerin Katsia Kaya, die im Exil im Berlin lebt, paraphrasiert mit viel stimmlicher Wucht und ohne Instrumental-Begleitung originale Gesangspassagen aus Wagners „Ring des Nibelungen“ – von einer rothaarigen Rheintochter bis zu Wotan und Hagen. Sie kombiniert ihre Darbietung mit einer ledernen Pussy-Riot-Ästhetik – in deutschen Kultureinrichtungen immer noch ein dunkel-fremdartiges Element. Der Schauspieler Hauke Heumann wird fast noch stärker zum Gesicht von „Wagner Weltweit“. Oft an einem einsamen Tisch sitzend, bewältigt er die Textflut darüber, wie die Wagner-Akteure die Welt sehen: als das eigene Schicksal, dem man nicht entkommt. In dem von „Sounding Situations“ mit Jens Dietrich, Milena Kipfmüller und Klaus Janek verfassten Prosa-Text ist dies immer noch eine recht abstrakte, aber die stringenteste Brücke, die zu Wagners „Ring“ geschlagen wird.

Szenenfoto aus Distant Resonances „Wagner Weltweit“. Foto: Juha Hansen
Wagner-Sound als Echo
Die Brücke zur Musik immerhin könnte weit sinnfälliger, auch sinnlicher geschlagen werden. Das ist vielleicht nicht die Intention, aber das Kollektiv macht es sich auch ein bisschen leicht, indem nur ganz wenige und vereinzelte Leitmotive von Wagner Eingang in die Performance finden. Durch den Kontrabass von Klaus Janek; durch das Horn, in das Elena M. Kakaliagou auch mal experimentell hineinsingt; durch die Live-Elektronik von Hannes Teichmann und die Klarinette von Michael Thieke.
„Sounding Situations“ vollbringt dennoch am Ende das Kunststück, uns zum Nachdenken zu bringen. Ob die Verschränkung der Gruppe Wagner mit Richard Wagner und seinem „Ring des Nibelungen“ nicht so etwas wie eine auch für das Kulturpublikum des Westens sich selbsterfüllende Prophezeiung ist? Das Kollektiv mag das in den Kosmos der Hochkultur gehoben haben. Die Idee ist aber dennoch diejenige der inhumanen paramilitärischen Einheit eines Schurkenstaats, deren Mitglieder sich auch noch „Wagnerianer“ nennen. Damit müssen wir uns jetzt wohl oder übel herumschlagen.