Szene mit  Rolf-Rudolf Lütgens, Nils Brück, Bettina Burchard,  Gabriel Kemmether und Paul- Louis Schop

Der Zauber des Unbegreiflichen

John von Düffel: Ein Lied von Liebe und Tod (Gloomy Sunday)

Theater:Theater Heilbronn, Premiere:21.01.2017 (UA)Vorlage:Nick Barkow: Das Lied vom traurigen SonntagRegie:Uta Koschel

Das „Lied vom traurigen Sonntag“ stirbt der Sängerin und Serviererin Ilona auf den Lippen. Mit gebrochener Stimme singt die schöne Ungarin in ihrem Budapester Restaurant die melancholischen Zeilen, während der Nazi Hans-Eberhard Wieck sich kaum an ihrem Körper satt sehen kann. Zugleich bedroht er den Komponisten András mit einer Pistole. Das grausame Lachen des „Herrenmenschen“ schmerzt. Auf emotionale Extreme spitzt Uta Koschel, neue Chefregisseurin des Theaters Heilbronn, ihre Inszenierung des Schauspiels „Ein Lied von Liebe und Tod “ zu. Der Dramatiker John von Düffel hat das Filmdrehbuch „Gloomy Sunday“ von Ruth Tomas und Rolf Schübel nach dem Roman Nick Barkows für die Bühne adaptiert.

Einen erfolgreichen Film ins Theater zu bringen, ist ein Wagnis. Braucht man das überhaupt? John von Düffels Uraufführung lässt da keine Zweifel. Er setzt auf die Kraft der Gefühle in dieser Liebesgeschichte zwischen einer Frau und drei Männern. Seine Figuren ermöglichen den Spielern große Porträts. In Zeiten des Zweiten Weltkriegs sterben die Menschen, nicht aber ihre Liebe. Konsequent flicht der Autor die politische Komponente ein, bleibt dabei aber zu plakativ. Koschels Regie verstärkt das, weil sie die Schergen Adolf Eichmanns, die in Ungarn die Deportation der Juden vorbereiteten, zu martialisch aufmarschieren lässt. Im grob schraffierten Geschichtsdiskurs liegt eine Schwäche.  

Dramaturgisch überzeugt John von Düffels Spiel der Erinnerung dagegen umso mehr. Da geht er sogar viel weiter als im Film. Und die dynamischen Dialoge fesseln. Virtuos spielt der Autor mit Zeitebenen. Wie sich die Schauspieler in diesem Traumraum an Grenzen peitschen, ist brillant. Da beweist Uta Koschel ihr Gespür für das Unbegreifliche. Mit Stehlampen und fahriger Lichtregie schafft Bühnenbildner Stefan Brandtmayr eine diffuse Atmosphäre der Angst. Im Zentrum der Bühne steht ein Piano. Auf dem Instrument wurde das Lied komponiert, das in den 30er-Jahren Menschen in den Suizid getrieben haben soll. Diese dunkle Komponente meißelt Koschel heraus. Kongenial spielt der musikalische Leiter Johannes Mittl mit dem Motiv. Als eiskalter deutscher Geschäftsmann und Nazischerge wächst Gabriel Kemmether über sich hinaus. Ebenso überzeugt Paul-Louis Schopf als verzweifelter Komponist András, der sich in den Kokon seiner Einsamkeit einspinnt. Dass Nils Brück die Hintergründigkeit des jüdischen Restaurantbesitzers László brillant zeigen kann, liegt bei dem Könner tragikomischer Rollen nahe. Hier ist er vor allem ein leidenschaftlich Liebender, der sich in der Dreiecksbeziehung behaupten muss. Klug spielt die bildschöne Bettina Burchard mit den Männern. Im Stück ist sie eine starke Frau, die um ihr Glück ringt.

Lachen und Schrecken liegen in Koschels Regie dicht beieinander. Und sie kennt keine Tabus. Wenn der jüdische Gastronom László den Nazis einen Witz aus dem Konzentrationslager erzählt, tritt der Zynismus der Zeit grausam zu Tage. Auf diesem schmalen Grat offenbart sich Koschels bemerkenswertes Schauspielertheater.