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Der virtuelle Iwan

Nikolai Rimsky-Korsakow: Die Zarenbraut

Theater:Staatsoper im Schillertheater, Premiere:03.10.2013Regie:Dmitri TcherniakovMusikalische Leitung:Daniel Barenboim

Der Anfang ist eine brillante Fopperei. Während das Publikum noch Platz nimmt, zeigt eine geschickt mit der Zwei- und Dreidimensionalität spielende Projektion Statisten, die in historisierenden Gewändern aus dem Russenklischee-Fundus durch einen herrlich naiv gestalteten Prospekt schlurfen: ein Bild, das einem Supermarkt-Adventskalender zur Ehre gereichen könnte. Aha, ach so, könnte man denken, endlich mal wieder Oper, die opulent in eine märchenhafte Ferne gerückt wird. Zurücklehnen, Verstand ausschalten, genießen! Passt doch, ist ja nur Rimsky-Korsakows „Zarenbraut“, was soll man da groß herumdeuteln?

Allerdings firmiert als Regisseur und Bühnenbildner der Produktion der Russe Dmitri Tcherniakov, der doch eher für konsequente Aktualisierungen steht als für abgehangene Kostümschinken. Und wenn während der Ouvertüre die Projektion verschwindet, fliegt der Bluff auch sofort auf: Die Statisten befinden sich in einem Filmstudio, welches mithilfe der Bluescreen- (bzw. hier der Greenscreen-)Technik die Adventskalender-Illusion erzeugte. Das Studio gehört offenbar zu einer großen Propaganda-Medien-Maschine, die einer bestimmten Kaste – den Opritschniki (eigentlich eine Militäreinheit Iwans des Schrecklichen im 16. Jahrhundert) – die Macht erhalten soll. Und es folgt gleich die nächste Projektion, in der ein virtueller Zar gerendert wird, der dem Volk als ideale, wenn auch nicht-existente Führungsfigur vor die Nase gesetzt werden soll. Eine starke Idee, denn tatsächlich tritt der Zar in Rimsky-Korsakows Oper nur ein einziges Mal auf – und das stumm. Der in viriler Selbstgenügsamkeit virtuell über die Bildschirme flimmernde Zar Tcherniakovs illustriert nun prägnant das moderne Auseinanderfallen von Macht und Machtrepräsentation: Dass nicht dort die wichtigen Entscheidungen getroffen werden, von wo die Medien ihre (ohnehin nur hergestellten) Bilder beziehen, mag inzwischen eine Binse sein – man kann trotzdem nicht oft genug darauf hinweisen.

Für den virtuellen Iwan wird nun eine reale Braut gesucht – diese Wendung macht das Spiel bei Tcherniakov noch um einiges zynischer, als es die willkürliche Brautwahl bei Rimsky-Korsakow ohnehin schon ist. Für die Familie der wider ihren Willen erkorenen Zarenbraut Marfa hat Tcherniakov ein kleinbürgerliches Milieu mit Blümchentapete und zentral positioniertem Fernseher entworfen, das gleichsam den idealen Rezeptionshumus für die Kitschbotschaften aus der Medienagentur der Macht darstellt. Und solange man die Produktion der Illusion nicht durchschaut, mag es ja auch schön sein, ihr aufzusitzen.

Da kaum ein Regisseur derzeit so spannend mit den Mitteln des psychologisch-realistischen Musiktheaters umzugehen weiß wie Tcherniakov, folgt man der in diesem Ambiente munter abschnurrenden, handelsüblich hanebüchenen und herrlich opernhaften Intrige um Eifersucht, Verzweiflung, Giftmord und Wahnsinn äußerst willig und mit anhaltendem Interesse. Dass das Konzept seine Grenzen hat, mag da nicht allzu sehr ins Gewicht fallen: Natürlich schließt  Tcherniakow mithilfe des virtuellen Zaren nicht wirklich das Stück auf (dessen Dramaturgie durch diesen auch nicht zwingender wird), und sicherlich kann man von virtuellen Machtinszenierungen besser mit anderen Stücken als mit der „Zarenbraut“ erzählen. Die Inszenierung zeigt aber, dass man auch eine solche Historienschwarte ohne jede Peinlichkeit – und ohne den Anspruch auf Gegenwartstheater zugunsten bloßer Kulinarik fahren zu lassen – ins Repertoire nehmen kann.

Zumal, wenn ein solches Ensemble zur Verfügung steht: Anatoli Kotscherga und Johannes Martin Kränzle geben als Vater und abgewiesener Liebhaber der Zarenbraut kraftvolle Darstellungen ab; die große Anna Tomowa-Sintow, obgleich schon etwas unsicher auf den Beinen, füllt die Nebenrolle der kuppelfreudigen Saburowa noch immer mit stupender Präsenz aus; Pavel Cernoch gestaltet Marfas glücklosen Bräutigam Lykow mit geschmeidig-weicher Kantabilität; Olga Peretyatko verleiht ihrer Marfa berückende und blitzsaubere Soprantöne, allenfalls an einigen dramatischen Ausdrucksvaleurs ließen sich hier noch Steigerungsmöglichkeiten denken; und Daniel Barenboim und seine Staatskapelle gehen die instrumentationstechnisch vergleichsweise wenig raffinierte Partitur Rimsky-Korsakows mit Verve und zuweilen mit robusten Akzenten an, ohne den lyrischen Schmelz außer Acht zu lassen.

Die Sensation des Abends aber ist die Mezzosopranistin Anita Rachvelishvili in der Rolle der eifersüchtigen Giftmörderin Ljubascha. Ihr gelingt eine geradezu atemberaubende Waage aus Klangfülle, Innerlichkeit und glühender Expression – wenn sie im ersten Akt ein gänzlich unbegleitetes Strophenlied singt, ist es so still wie selten im Auditorium, noch ihr leisester Ton flutet den ganzen Raum. Die ihr dargebrachten Ovationen lassen sie beim Schlussapplaus regelrecht vor Überwältigung einknicken – und wirklich: eine solche sängerdarstellerische Leistung ist auch in Berlin nicht jeden Tag zu erleben.

Termine

08. Okt 2013 19:30 UHR

13. Okt 2013 15:00 UHR

19. Okt 2013 19:30 UHR

25. Okt 2013 19:30 UHR

01. Nov 2013 19:30 UHR