Für den virtuellen Iwan wird nun eine reale Braut gesucht – diese Wendung macht das Spiel bei Tcherniakov noch um einiges zynischer, als es die willkürliche Brautwahl bei Rimsky-Korsakow ohnehin schon ist. Für die Familie der wider ihren Willen erkorenen Zarenbraut Marfa hat Tcherniakov ein kleinbürgerliches Milieu mit Blümchentapete und zentral positioniertem Fernseher entworfen, das gleichsam den idealen Rezeptionshumus für die Kitschbotschaften aus der Medienagentur der Macht darstellt. Und solange man die Produktion der Illusion nicht durchschaut, mag es ja auch schön sein, ihr aufzusitzen.
Da kaum ein Regisseur derzeit so spannend mit den Mitteln des psychologisch-realistischen Musiktheaters umzugehen weiß wie Tcherniakov, folgt man der in diesem Ambiente munter abschnurrenden, handelsüblich hanebüchenen und herrlich opernhaften Intrige um Eifersucht, Verzweiflung, Giftmord und Wahnsinn äußerst willig und mit anhaltendem Interesse. Dass das Konzept seine Grenzen hat, mag da nicht allzu sehr ins Gewicht fallen: Natürlich schließt Tcherniakow mithilfe des virtuellen Zaren nicht wirklich das Stück auf (dessen Dramaturgie durch diesen auch nicht zwingender wird), und sicherlich kann man von virtuellen Machtinszenierungen besser mit anderen Stücken als mit der „Zarenbraut“ erzählen. Die Inszenierung zeigt aber, dass man auch eine solche Historienschwarte ohne jede Peinlichkeit – und ohne den Anspruch auf Gegenwartstheater zugunsten bloßer Kulinarik fahren zu lassen – ins Repertoire nehmen kann.
Zumal, wenn ein solches Ensemble zur Verfügung steht: Anatoli Kotscherga und Johannes Martin Kränzle geben als Vater und abgewiesener Liebhaber der Zarenbraut kraftvolle Darstellungen ab; die große Anna Tomowa-Sintow, obgleich schon etwas unsicher auf den Beinen, füllt die Nebenrolle der kuppelfreudigen Saburowa noch immer mit stupender Präsenz aus; Pavel Cernoch gestaltet Marfas glücklosen Bräutigam Lykow mit geschmeidig-weicher Kantabilität; Olga Peretyatko verleiht ihrer Marfa berückende und blitzsaubere Soprantöne, allenfalls an einigen dramatischen Ausdrucksvaleurs ließen sich hier noch Steigerungsmöglichkeiten denken; und Daniel Barenboim und seine Staatskapelle gehen die instrumentationstechnisch vergleichsweise wenig raffinierte Partitur Rimsky-Korsakows mit Verve und zuweilen mit robusten Akzenten an, ohne den lyrischen Schmelz außer Acht zu lassen.
Die Sensation des Abends aber ist die Mezzosopranistin Anita Rachvelishvili in der Rolle der eifersüchtigen Giftmörderin Ljubascha. Ihr gelingt eine geradezu atemberaubende Waage aus Klangfülle, Innerlichkeit und glühender Expression – wenn sie im ersten Akt ein gänzlich unbegleitetes Strophenlied singt, ist es so still wie selten im Auditorium, noch ihr leisester Ton flutet den ganzen Raum. Die ihr dargebrachten Ovationen lassen sie beim Schlussapplaus regelrecht vor Überwältigung einknicken – und wirklich: eine solche sängerdarstellerische Leistung ist auch in Berlin nicht jeden Tag zu erleben.
Termine
08. Okt 2013 19:30 UHR
13. Okt 2013 15:00 UHR
19. Okt 2013 19:30 UHR
25. Okt 2013 19:30 UHR
01. Nov 2013 19:30 UHR