Szene aus "Anna Viehmann"

In der Vergangenheit stecken geblieben

Franzobel: Anna Viehmann

Theater:Theater Hof, Premiere:09.10.2021 (UA)Regie:Antje Hochholdinger

Das ist das Versprechen: Ein Stück im historischen Gewand und mit viel Lokalgeschichte, das aber die weltweit drängende Debatte um Fake News und Shitstorms verhandelt. So die Ankündigung des Theaters Hof zu dieser Uraufführung von „Anna Viehmann“.

Im Jahr 1665 wurde im Hofer Land zum letzten Mal eine angebliche Hexe verbrannt. Ihr Name lautete Anna Viehmann (auf der Bühne verkörpert von Cornelia Wöß). Für die Verfolgung von Hexen im christlichen Abendland gab es mehrere Gründe wie die Brandmarkung heidnischer Rituale, die die Kirche verurteilte, oder die Suche nach Schuldigen für große Katastrophen. Sicherlich hat auch latenter Frauenhass eine Rolle gespielt. Der Fall der Hebamme Anna Viehmann ist gut dokumentiert: Nachdem sie gefoltert wurde, sagte sie aus, dass sie einen Bund mit dem Teufel eingegangen sei und Häuser angezündet habe.

Meister der historischen Stoffe

Aus dieser Geschichte hat Franzobel nun ein Bühnenstück geformt. Der österreichische Autor ist erfahren mit historischen Stoffen: Seine Romane „Das Floß der Medusa“ und „Die Eroberung Amerikas“ waren unter anderem für den Deutschen Buchpreis nominiert. Die Stärke des Autors liegt in seinem freien Umgang mit der Geschichte. Zwar recherchiert er die Ereignisse genau nach (soweit es möglich ist), belässt sie aber nicht in ihrer Zeit: die Sprache der Figuren ist eher in der Gegenwart angesiedelt, Fakten werden gedehnt oder erfunden und immer wieder tauchen kleine Ungenauigkeiten auf, als hätte sich die Gegenwart in das Früher verirrt. So zeigt Franzobel, wo Distanz und wo noch Nähe zur Vergangenheit besteht.

Das war vermutlich auch sein Ansatz für das Drama „Anna Viehmann“, der aber hier kaum gelungen ist. Das Stück hat viel zu wenig Energie und kaum Witz. Franzobel erzählt den Fall der Anna Viehmann chronologisch, wie er sich zugetragen haben könnte. Die Schauspieler müssen zwar kein veraltetes Deutsch sprechen, nach aktuellen Bezügen muss das Publikum dennoch selbst suchen. Das Thema Shitstorm wird eher als Parabel sichtbar: Der Pfarrer (Ralf Hocke) kann als Anstifter gesehen werden; die Huren (Julia Leinweber und Alrun Herbig) sind Mitläufer, die bei jeder (Twitter-)Hetze mitmachen wollen; und für den Markgrafen (Benjamin Muth) ist der Fall ein willkommener Anlass, sich in seinem Größenwahn als mächtig und männlich profilieren und mit dieser augenscheinlichen Lüge (Fake News) von seiner eigenen Unfähigkeit abzulenken.

Blasse Inszenierung

Dieser Bezug zur heutigen Internet-Kultur bleibt aber unkonkret. Und die Inszenierung gleicht das nicht aus. Ausstatterin Anette Mahlendorf hat einen weitgehend leeren Raum geschaffen: Eine Treppe führt aus dem abgesenkten Orchestergraben auf die Bühne, auf der ein dreistufiges, rundes Podest steht. Die Videoprojektionen von Kristoffer Keudel auf dem Screen im Bühnenhintergrund bleiben eher kitschig-illustrativ und sind nur selten assoziativ und erhellend. Ähnlich verhält es sich mit Mahlendorfs Kostümen, die der historischen Kleidung des 17. Jahrhunderts nachempfunden sind.

Entsprechend blass bleibt auch die Regie von Antje Hochholdinger, die sich darauf beschränkt, die ständig wechselnden Szenen sauber und ohne Experimente zu erzählen. Dass sie immer erst alle abgehen, eine Übergangsmusik spielen und die Schauspielerinnen und Schauspieler der nächsten Szene auftreten lässt, nimmt (zu) viel Tempo aus der Inszenierung. Auch das Ensemble glänzt nicht: Die Darstellerinnen und Darsteller sagen ihren Text mehr auf, als dass sie ihn verkörpern. Nur Ralf Hocke als Prediger und Jörn Bregnzer als Narr Koriander scheinen in ihren Rollen aufzugehen.

Parabel über Medienkultur

Am Ende geht die Parabel nicht mehr ganz auf: Nachdem ein Dorf abgebrannt ist, wird mit allen Mitteln nachgeforscht – Befragungen unter Folter gehören dazu. In dem Klima der Angst sagen schließlich alle, was gewünscht ist. Zwar werden auch heute noch in ähnlicher Form Stimmungen geschaffen. Doch wer dem nicht gewachsen ist, steigt aus den überhitzten Debatten aus. Wieviel Frauenhass mit der Hexenjagd (historische und aktuelle) verbunden ist, wird bestenfalls angedeutet.

Insgesamt lässt sich die Geschichte durchaus auf die dunklen Seiten der aktuellen Medienkultur übertragen, verrät jedoch wenig über diese neuen Phänomene: Nicht jeder Shitstorm ist unrechtmäßige Anprangerung, sondern manchmal auch legitimes Mittel, um Veränderungen einzufordern. Und dass nicht jede Anschuldigung im Netz der Wahrheit entspricht, sollte jeder wissen, der sich einen Internet-Anschluss bestellt. „Anna Viehmann“ bleibt  eine spannende (Lokal-)Geschichte, die auch solide erzählt ist. Jedoch bleibt die Inszenierung am Theater Hof mühsam, etwas langwierig und inspiriert kaum zu einer Auseinandersetzung mit modernen „Hexenjagden“.