„Richard the Kid & the King“ 2021: Lina Beckmann (Richard, Herzog von Gloucester, später Richard III.)

Der Teufel ist los

William Shakespeare / Tom Lanoye: Richard the Kid & the King

Theater:Salzburger Festspiele, Premiere:25.07.2021Regie:Karin Henkel

Die Welt, davon waren Shakespeares Zeitgenossen fest überzeugt, ist eine Scheibe. Ebene Erde findet sich nun auch in Katrin Bracks Bühnenbild auf der Perner-Insel in Hallein: die Bühne als raumfüllende, leicht schräggestellte Scheibe. Von der Bühnendecke hängen kugelförmige Lampen gleich Sonne, Mond und Sterne: ein Theaterhimmelszelt, welches das Geschehen mal in nachtschwarze Düsternis taucht, dann wieder nebelverhangenes Unbehagen verbreitet – interstellare Turbulenzen, die mit den irdischen Tumulten in Karin Henkels Inszenierung von „Richard the Kid & the King“ gleichermaßen Schritt halten. Die Weltgeschichte dürfte sich bereits im Elisabethanischen Zeitalter als ein ewig sich wiederholender Kreislauf dargestellt haben, Shakespeares Königsdramen zeigen das exemplarisch auf: Jede dieser Tragödien beginnt mit einem Kampf um den Thron – und endet mit dem Tod des Königs, während der kommende Usurpator schon in den Startlöchern scharrt. Dazwischen sehr viel Mord und Totschlag.

Diese Parabelhaftigkeit vermittelt Henkels Regie in „Richard the Kid & the King“ von Anfang bis zum Schluss. Die Aufführung ist noch bis 5. August im Rahmen der Salzburger Festspiele zu sehen, die Premiere im Deutschen Schauspielhaus Hamburg ist für 3. September angesetzt. Ein Gradmesser für die verrohte Gesellschaft, die hier porträtiert wird, ist etwa der nicht gerade zimperliche Umgang mit den Verstorbenen: Abgeschnittene Knöpfe werden in Plastiksäcke gestopft und wie Restmüll auf die Bühne geworfen; sanft ruht hier kein Toter. In „Richard the Kid & the King“ verschränkt die 51jährige Regisseurin im Grunde Shakespeares Königsdramen „Heinrich VI.“ und „Richard III.“ zu einem vierstündigen Höllenritt. Die Zusammenlegung ist sinnfällig; beide Dramen werden zur Tetralogie über die Rosenkriege gezählt: „Heinrich VI.“ berichtet gewissermaßen die Vorgeschichte von Richards Aufstieg und Fall. Als Textvorlage für Henkels Bühnenfassung wird jedoch kaum Shakespeare im O-Ton herangezogen, vielmehr die freihändige Übersetzung „Eddy the King“ von Tom Lanoye, als Teil des zwölfstündigen Königsdramen-Marathons „Schlachten!“ von Luk Perceval (1999).

Henkel konzentriert sich auf den charismatischen Bösewicht Richard; im Gegenzug dampft sie Nebenfiguren ein, streicht Nebenhandlungen; so mancher Shakespeare-Vers weicht platter Alltagssprache, wobei der Ruf: „Guck mal, Mama!“ gefühlt etwas zu häufig fällt und verlässlich mit einer Bosheit der grandios-grässlichen Über-Mutter (Kate Strong in Bestform) pariert wird. Für Richard, „Missgeburt, verwachsenes, wühlendes Schwein“, hat selbst die eigene Mutter nur Schimpf und Spott über. Henkels Inszenierung begnügt sich jedoch nicht mit psychologischen Deutungen – sie versucht vielmehr, das innere Chaos des Protagonisten auf die Bühne zu heben. Lina Beckmann ist fraglos der Trumpf dieser Aufführung. Sie verkörpert Richard III. mit mitreißendem Furor, wendet mühelos die gesamte Klaviatur an: vom charmanten Intriganten bis zum eiskalten Mörder. Tempo und Timbre sind stets stimmig. Wo Beckmann agiert, ist der Teufel los. Sie bildet das Epizentrum dieser Inszenierung, nahezu die gesamte Spielzeit lang, fast vier Stunden.

Der Fokus auf Beckmann als „Richie“ ist Absicht, erweist sich mit Fortschreiten des Abends jedoch auch als Schwachstelle. Beckmann hat – anders als bei Shakespeare vorgesehen – kaum starke Gegenspieler, was nicht am Ensemble liegt (das durchweg große Spielfreude zeigt), sondern am dramaturgischen Konzept, das Beckmanns Kontrahenten leider wenig Spielraum lässt, was zwangsweise zu Durchhängern führt. Bis Lina Beckmann die Sache wieder an sich reißt. Und wie ein verrückter Derwisch über die Bühne irrlichtert. Ein Hoch der zelebrierten Entgleisung!