Szene aus "Ugly Lies the Bone"

Der schwierige Weg nach Hause

Lindsey Ferrentino: Ugly Lies the Bone

Theater:Staatstheater Augsburg, Premiere:11.06.2022 (DSE)Regie:Alice Asper, David Ortmann und Nicole Schneiderbauer Komponist(in):Stefan Leibold, Klaus Lehr

Das Staatstheater Augsburg hat sich in den vergangenen Pandemiejahren durch seine Experimente mit VR-Brillen einen Namen gemacht. Auch nun, wo die Pandemie scheinbar eine Pause macht, experimentiert das Staatstheater mit hybriden Formen. In „Ugly Lies the Bone“ von Lindsey Ferrentino wird die Geschichte von Jess erzählt, die bei ihrem dritten Einsatz in Afghanistan so schwer verwundet wurde, dass sie in einem Programm aufgenommen wurde, dass ihre „posttraumatische Belastungsstörung“ mit „Virtual Reality“ aufarbeitet. In der Inszenierung von David Ortmann und Nicole Schneiderbauer sowie in der VR- und Videoregie von Alice Asper hat das Publikum auf Ansage drei Mal die VR-Brille aufzusetzen. Dort sieht es in Landschaften aus lauter quadratischen Felsen und von einer schwindelerregenden Tiefe, auf denen der Avatar von Jess balanciert. Beim dritten Mal lösen sich im wahrsten Sinne des Wortes die Felsblöcke auf und es bleibt nur ein schmaler Steg über den Abgrund …

Wenn derart über die VR-Brille die innere Situation von Jess erzählt wird, angetrieben vom „Operator“, dem Florian Gerteis in silbernem Umhang die monotonen Töne einer tröstenden Meditation gibt, so nimmt diese Form einer virtuellen Realität dem Publikum seine Fantasie. Wenn der Text immer wieder betont, dass es Jess eigene Entscheidung ist, ob sie sich weiterhin den Anweisungen des Operators unterwerfen will, so lässt diese Inszenierung seinem Publikum keine Wahl: Es muss den Bildern der VR-Brille folgen und darf keine eigenen Bilder entwickeln. Nun ist der Therapieprozess einer posttraumatischen Erfahrung und der damit verbundene Schmerz nur eine Ebene des Stücks.

Im Mittelpunkt steht ein anderes Thema: Eigentlich erzählt Ferrentino von der Unmöglichkeit, nach einer solchen Erfahrung wieder daheim anzukommen. Sowohl mit ihrer Schwester Kacie, die inzwischen mit Kelvin zusammenlebt, als auch mit ihrem ehemaligen Boyfriend Stevie, der sich mit einer anderen verheiratet hat, fühlt sie sich, obwohl alle sich um sie bemühen, im Stich gelassen. Am deutlichsten wird das bei ihrer Mutter, die per Video eingespielt wird (im Bild: Ilona Kramer, Stimme: Ute Fiedler). Die Mutter ist inzwischen dement geworden und lebt in einem Heim und Jess weigert sich beharrlich, sie zu besuchen.

Wunden überall

Der von Denise Leisentritt geschaffene Bühnenraum verdeutlicht diese Ebene des Stücks: Über die Szene prangt in Leuchtschrift „Welcome Home“, auf der Szene stehen zwei Haushälften, nach vorne hin transparent, die auch auseinandergezogen werden können. Immer wieder wallt Nebel. Christina Jung spielt die Jess, die nach 14 Monaten Krankenhaus nach Hause und in die virtuelle Therapie entlassen wird, als jemand, der neben sich steht, staunend und mit steigernder Auflehnung erfährt, wie sich die kleine Welt um sie herum verändert hat. Ferrentino hat das Stück 2015 geschrieben und genau lokalisiert: in Florida, genauer in Titusville, dem Ort, an dem die NASA in der Nähe zwischen 1968 und 2011 ihre Weltraumflüge startete. 2015 aber ist der Ort verödet. Der damit verbundene soziale Absturz überschattet auch die Rückkehr von Jess, die sich nur schwer in diese neue Situation hineinfinden kann.

Jess kann ihre Schwester Kacie (der Katja Sieder lebenszugewandte Züge gibt) nicht in ihrer neuen Beziehung zu Kelvin akzeptieren. Kacie will sich ihr Leben nicht von anderen vorschreiben lassen und verteidigt vehement ihren Freund. Sebastian Müller-Stahl gibt dieser Figur zugleich sympathische wie unsympathische Züge, einer, der gewitzt Sozialsysteme ausnützt und von allen gemocht werden möchte, auch von Jess, die ihn aber schroff ablehnt. Mit Stevie verbindet Jess eine alte Beziehung. Sie ist enttäuscht, dass er nicht zu ihrer Begrüßungsparty gekommen ist. Julius Kuhn spielt diese Rolle als sozial abgestiegener Looser, der nicht zu einer eigenen Entscheidung finden kann.

Was all diese Figuren kennzeichnet, ist ihre Hilflosigkeit. Sie können nicht mit der traumatisierten Jess umgehen, aber auch Jess kann es nicht. Am ehrlichsten ist der „Operator“, der immer wieder betont, dass sich Jess nur aus eigener Kraft heilen kann, dass auch der therapeutische Einsatz von „Virtual Reality“ nur funktioniert, wenn Jess auch darum kämpft, statt nur mitzumachen. „Ugly Lies the Bone“ erzählt gnadenlos, aber auch mit sehr melodramatischen Mitteln die Geschichte einer Entfremdung, der verzweifelten Auflehnung eines Menschen, der in den Lichtblitzen des Krieges und seinen Verstümmelungen – laut Programmheft von „großflächigen Brandverletzungen“ nach einer Explosion – seine Identität wieder behaupten muss.

Die Regie nimmt dabei den Untertitel „Das ganze Spiel“ als Ausgangspunkt: Virtual Reality spiegelt das Bewusstsein von Jess. Es ist gut, dass die Regie dabei darauf verzichtet, die Jess der Christina Jung als Opfer zu schminken. Sie agiert äußerlich scheinbar unverletzt auf der Bühne, damit aber um so präsenter in einer körperlichen Anspannung, die die Tiefe des Schmerzes erahnen lässt. Nur schade, dass mir als Zuschauer so wenig Raum gelassen wird, eigene Bilder zu entwickeln.