Es ist also alles komplizierter, nicht unbedingt schlüssiger geworden mit der ohnehin schwer durchschaubaren Geschichte, bei der man ja beispielsweise nie erfahren durfte, woher der böse Hofnarr die sanfte Tochter hat. Und warum er sich als praktizierender Nihilist gar so vor dem Fluch eines einzelnen Herrn fürchtet. Verena Stoibers Erklärungsversuche sind in Wirklichkeit keine Attacke gegen das Original und schon gar nicht Verweigerung der großen Opern-Emotion, sie will einfach darüber nachdenken, was gewesen sein könnte, und uns daran teilhaben lassen. Das tut sie mit viel Sinn für atmosphärisch drapierte, kunstvoll ausgeleuchtete Bilder und der Stationierung geradezu selbstverleugnender Oasen konventioneller Rampen-Dramatik. Opas Oper ist ihr nicht fremd, das kann auch der Schatten von Regie-Lehrer Calixto Bieito nicht ändern. Dessen Einfluss erkennt man in der plötzlich dreinfahrenden Aufbruchstimmung, wenn Verdis schmissige Klänge zum Revue-Katalysator taugen. Da treten die Chor-Herren auf der Galerie an den peepshowtauglichen Innenhof-Fenstern mit Rhythmus im Unterleib an wie Chippendales auf Irrfahrt, reißen sich die Hemden vom Leib und lassen in einem Anfall launiger Gruppendynamik das Publikum die am Oberkörper aufgesprühten Buchstaben zur Regie-Ansage zusammenfügen: VENDETTA. Blutrache? Nun ja!
Was die Personenführung betrifft, sind die Ansprüche denkbar hoch. Gilda ist hier sehr minderjährig, was die vielseitige Sopranistin Michaela Maria Mayer (in Nürnberg sang sie vom „Meistersinger“-Evchen bis zur „Rössl“-Wirtin schon alles) mit verschämten Blicken und verklemmter Körperhaltung mühelos hinkriegt. Was sie singt, ist allerdings die nie erreichte Zukunft dieser Figur, eine lyrisch versonnene, von naiver Koloraturseligkeit wenig beeindruckte Frauengestalt. Ihr Ziehvater Rigoletto ist bei Mikolaj Zalasinskis wuchtigem Kampf-Bariton immer auf Attacke, ob es um Zorn oder Wehmut geht. Dem Herzog, der hier mit allzeit offener Hose als suchtgefährdeter Revolverheld jämmerlich zwischen Sex und Alkohol taumelt, kann David Yim kaum mit Belcanto-Schmelz dienen, da die Stimme nur mit Druck anspringt. Hinterher, wenn man nicht mehr auf das Gelingen von Tönen lauert, baut sich das im Gedächtnis zur halbwegs schlüssigen Versager-Charakterstudie zusammen.
GMD Marcus Bosch, zuletzt bevorzugt als „Ring“-Dirigent gerühmt aber schon mit dem „Maskenball“ vom Vorjahr der auffällig nachhakende Verdi-Exeget dicht am Nervenzentrum des Komponisten, zeichnet ein „Rigoletto“-Klangbild faszinierender Schattierungen, lässt mit überwiegend fein austarierter Dynamik die vokalen Signale von Chor und Solisten mit dem aufschäumenden Sound der Staatsphilharmonie verschmelzen. Selbst dort noch spielerisch spannungsvoll, wo das Kollektiv der Stimmen für unbeherrschbar scheinende Momente im akustischen Tableau untergeht. Es gibt also auch in den Folgevorstellungen was zu tun.
Das Premierenpublikum im ausverkauften Haus bejubelte den Dirigenten und sein Orchester, hatte auch ein paar Bravo-Rufe für die Stimmen und schaltete um auf mittleren Buh-Sturm beim Erscheinen des Inszenierungs-Duos. Mancher, der daran nicht beteiligt war, wird nun immer noch grübeln, ob er womöglich eine Provokation übersehen hat.