Szene aus "Die innere Stimme"

Der Dialog im Selbstgespräch

Faris Yüzbaşioğlu, Manuel Moser, Christian Schönfelder: Die innere Stimme

Theater:Junges Ensemble Stuttgart, Premiere:19.02.2022 (UA)Regie:Manuel Moser

Zum zehnten Jubiläum seines Bestehens 2014 führte das Junge Ensemble Stuttgart ein neues Format ein: das „Freispiel“. Die Mitglieder des Ensembles probierten für sich Formen aus, die im Spielplan nicht vorkamen. Das Theater stellte hierfür seine Infrastruktur zur Verfügung und räumte den Teams, die die jeweilige Ideenfinderinnen und Ideenfinder zusammenstellten, eine dreiwöchige Probenzeit ein. Was als einmaliges „Bonbon“ für das Jubiläum gedacht war, erwies sich aber als so erfolgreich, dass – anders als geplant – „Freispiele“ zu einem festen Bestand im Spielplan des Stuttgarter Jugendtheaters geworden sind. Auch in der nun letzten Spielzeit unter der Intendanz von Brigitte Dethier gibt es nach wie vor „Freispiele“.

Längst hat sich unter der Hand durchgesetzt, dass die erste Begegnung mit dem Publikum nicht mehr „Präsentation“ genannt wird, woran lediglich offiziell festgehalten wird, sondern „Premiere“. Gerade weil die Macherinnen und Macher der „Freispiele“ absolut motiviert sind, zumal sie ihre eigenen Ideen und Vorstellungen auf die Bühne bringen, können bei diesem intensiven Input drei Wochen Probenzeit durchaus ausreichen. Das belegt auch das jüngste Beispiel: das Ensembleprojekt „Die innere Stimme“. Der Schauspieler Faris Yüzbaşioğlu suchte den Regisseur Manuel Moser, den Dramaturgen Christian Schönfelder und den Videofilmer Adrian Schmidt aus. Sie haben sich zusammengetan, um herauszufinden, was das denn nun sei: die innere Stimme, die uns in schwere Zweifel stürzt, uns verurteilt und uns Richtungen vorzugeben versucht. Wie kommuniziert sie eigentlich mit mir, wo sie doch Teil meiner selbst ist? Redet das Ich mit dem Ich, oder spielen da noch andere Instanzen eine Rolle?

Wer ist die innere Stimme?

Das Team hat intensiv recherchiert: Publikum befragt, ist in Schulen gegangen, um in Workshops herauszufinden, welche Bedeutung die innere Stimme für junge Menschen hat, hat Psychologen interviewt. Faris Yüzbaşioğlu beginnt seinen Dialog mit dem Publikum in einem rötlich-blauen Licht am Mikrofon mit einer sich im Tempo immer steigenden Aufzählung von Situationen, in denen die innere Stimme regiert. Jäh bricht er ab, um nun das Publikum nach seiner Erfahrung zu fragen. Er macht sich Notizen, kommentiert souverän die Einrufe des Publikums, ergänzt sie mit eigenen Erfahrungen. Dann legt er die Zettel auf den Boden sorgfältig aus. Wenn schon dieses Opening den Charakter einer „Lecture Performance“ hat, so verschärft sich diese Tendenz im Video. Nachdem schon zuvor die „innere Stimme“ in ihrer wesentlichen Funktion als „Destroyer“ und „Motivator“ bestimmt wurde, folgt nun im Video eine weitere Differenzierung: Neun mögliche Funktionen werden im Video aufgezählt: Von (moralischer) „Instanz“ über „Stimme der Vernunft“ bis hin zur „Verführung“ führt er in typischen Posen die Haltungen der einzelnen Möglichkeiten vor.

Jede Sekunde folgt man dem Akteur mit dem schwarzen Vollbart, weil er auf der einen Seite ernsthaft das Thema untersucht, auf der anderen Seite mit einer spielerischen Leichtigkeit – in der Rolle zwischen Suchend-Recherchierenden und des Moderierenden changierend – die verschiedenen Facetten des Themas auffächert in kurzen markanten Gesten. Selbst, wenn das Spiel bedrohlich wird durch eine von Looping erzeugte bedrängende Kulisse, aus der es zunächst keinen Ausweg zu geben scheint, kämpft Yüzbaşioğlu spielerisch dagegen, wenn auch Liegestütze zunächst nicht die Tonkulisse beruhigen können. Sympathisch auch, dass das Team viele Fragen stellt, aber keine Antworten gibt, nur eine Mutmachgeste am Schluss: Wenn die innere Stimme Teil meines Ichs ist, wer ist dann Ich?

Die bis auf das Mikro, einem Stuhl und einem Stapel Notizpapier leere Bühne wird von der Leinwand beherrscht. Der Spieler auf der Bühne hält stets Kontakt zu seinem Abbild im Video. Auch so gelingt es Moser, das Monologische ins Dialogische zu transformieren, in der Kommunikation mit dem Publikum, in der Auseinandersetzung mit der „inneren Stimme“, die sich sowohl im Video als auch über Audiomedien repräsentiert. Dieser „innere Dialog“ zwischen Ich und Ich, wie auch der mit dem Publikum gelang auf das Glücklichste.