Als Whistleblower unter dem Decknamen Benjamin Frey probt Anders den großen Auftritt mit Bühnennebel im Gegenlicht. Gönnerisch grinsend und mit geblähter Brust erzählt hier ein Mensch, dem die Etikette alles bedeutet, von seinen ersten Erfolgen als junger Anwalt. Die innere Unsicherheit wird in der gestischen Übertreibung sichtbar, wie überhaupt an diesem Abend das Stilmittel der Groteske nicht zu kurz kommt. Es zeigt auch die autistische Selbstbezogenheit einer Parallelgesellschaft der Superreichen, die den Staat zu ihrem Feind erklärt hat und Fragen der Moral von vornherein ausblendet. An einem einfachen Beispiel mit Spielzeugauto und Pappschildern erläutern Kröger, Anders und Schaupp das Cum-Ex-Prinzip: Über Verkaufsversprechen, sogenannten Leerverkäufen von Dividendenaktien, wird dem Staat vorgegaukelt, es gäbe zwei unterschiedliche Aktienbesitzer. Während nur einer von ihnen die Kapitalertragssteuer zahlen muss, können beide sich später die Steuer zurückerstatten lassen und die Beute teilen. Ein System, dessen Motor die ungehemmte Gier seiner Teilnehmer ist.
Schöne Bilder für kapitalgetriebenes Potenzgehabe am Rande des Wahnsinns liefert das kurzweilige Stück, wenn Anders die fest umschlungene Ruth Marie Kröger motorengeräuschimitierend zugleich als Porsche und Kopulationspartnerin vereinnahmt. Oder wenn beide sich wie eine fremdgesteuerte Reiz-Reaktions-Maschine die verbalen Insignien ihrer Luxussucht um die Ohren hauen: „Uhr – Porsche – Dubai …“. Auch wenn Günter Schaupp als Edel-Kellner mit eingefrorener Mimik unsichtbare Mini-Tassen serviert, oder die Darsteller sich ekstatisch zuckend in einem Meer aus silbernen Flitterstreifen aalen wie Dagobert Duck in den Talern seines Geldspeichers, darf gelacht werden. Nie jedoch wird die Grenze zum Klamauk überschritten, wenn feiner Spielwitz, originelle Regieeinfälle, überzeugende Schauspielkunst und erstklassige Recherche- und Aufklärungsarbeit zu einem homogenen Ganzen verschmelzen, während sich zwischendurch per Video die realen Protagonisten und Experten dieses Jahrhundertskandals zu Wort melden: der angeklagte Cum-Ex-Akteur Hanno Berger, die Journalistin Franziska Bulban, die zusammen mit ihrer Kollegin Alexandra Rojkov und dem Recherchezentrum „Correctiv“ die Fakten zur Stückentwicklung lieferte, sowie Gerhard Schick, Grünen-Politiker und Gründer der „Bürgerbewegung Finanzwende“, der im Anschluss an die Aufführung zusammen mit dem Journalisten Oliver Schröm zum Publikumsgespräch lud. Gesellschaftspolitisch relevanter und näher dran am Tagesgeschehen kann Theater kaum sein.