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Das eindimensionale Theater

Alexandra Bachzetsis: Massacre: Variations on a Theme

Theater:Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Premiere:12.11.2017Regie:Alexandra Bachzetsis

Alexandra Bachzetsis eröffnete mit der Videoproduktion „Massacre: Variations on a Theme“ das neue Onlinepremieren-Format der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

Dass das Theater nicht davor zurückschrecken darf, sich mit den Auswirkungen einer rasant zunehmenden Digitalisierung so ausführlich wie mit vielen anderen gesellschaftlichen Phänomenen auch auseinanderzusetzen, steht mittlerweile außer Frage. Allerdings ist das nicht gerade eine leichte Aufgabe für ein Medium, das wie kein zweites für materiellen Aufwand, Langsamkeit und Entschleunigung einsteht und eben daraus entscheidende Qualitäten bezieht. Das komplizierte Verhältnis von Digitalität und Theater kann aber auch seinen Reiz haben: Welche Formen, Formate, Narrative kann das Theater (er)finden, um künstlerisch zu reagieren und um gegebenenfalls ein Nachdenken anzustoßen? Wie kann ein Theater der Zukunft aussehen? Oder, noch weitergedacht, wie die Dortmunder Theatermacher Kay Voges und Alexander Kerlin kürzlich fragten: Was droht uns, wenn wir die Digitalisierung in allen Bereichen des Theaters nicht aktiv selbst gestalten?

Ein Format zum Zweck solcher Gestaltung hat nun die neue Volksbühne konzipiert und es zum Abschluss des Eröffnungswochenendes vorgestellt. Volksbühne Fullscreen nennt sich die „digitale Spielstätte“, eine „experimentelle Plattform, die das Verhältnis von Kunst, Gesellschaft und Digitalität reflektiert“. Konkret bedeutet das, dass Werke verschiedener Künstlerinnen und Künstler ab einem bestimmten Zeitpunkt auf der Homepage jederzeit zur Verfügung stehen; der Freischaltungstermin gilt als Online-Premiere. Auch dieses Projekt der neuen Volksbühne schreibt sich Interdisziplinarität auf die Fahne – und so macht die Video-, Installations- und Performancekünstlerin Alexandra Bachzetsis mit „Massacre: Variations on a Theme“ den Anfang. Im Gespräch mit Chris Dercon, das zwei Stunden vor der Online-Premiere tatsächlich und live im Foyer der Volksbühne stattfindet, gibt sie Einblicke in die Videoarbeit, die ursprünglich für das Museum of Modern Art entstanden ist. Laut Gespräch wählen Bachzetsis‘ Choreographien Körper und Körperlichkeit als Anhalts- und Zielpunkt und verarbeiten Einflüsse aus den Massenmedien, dem Internet, der Populärkultur, aber auch Elemente aus allen erdenklichen Kunstrichtungen. „Massacre: Variations on a Theme“ ist für sie „a sacrifice through female bodies“. Und sie sei „more interested in mystery and language of theatre than in theatre.“ Das ist ein Statement.

Zuhause im stillen Kämmerlein kann man sich dann die restliche, insgesamt dreiundzwanzigminütige Performance anschauen: Vier Tänzerinnen werden nacheinander in einem klaustrophobisch anmutenden Raum aus Pappmaschee gezeigt. Sie beschäftigen sich, manchmal über Gegenstände wie Spiegel, mit sich selbst und dem eigenen Körper. Alleinsein ist gewissermaßen Teil ihrer Aura. Ein sich selbst bespielender Klavierflügel sorgt in ständiger Wiederholung für ein nahezu ununterbrochenes, quälendes Hämmern. Die Performerinnen zelebrieren die Aktionen, die im Zustand absoluter Bewusstheit zu geschehen scheinen. Es ist schmerzhaft, bedrohlich, faszinierend. Eine Performerin blickt aus nächster Nähe in die Kamera und verharrt zweieinhalb Minuten. Auch das könnte schmerzhaft und bedrohlich und faszinierend sein – könnte man die Dauer nicht nachmessen. Die Wiederholbarkeit und Abrufbarkeit sind angenehm oder auch bequem: mehr Verlust als Gewinn. Das Alleinsein der Performerinnen rechtfertigt zwar das Alleinsein des Zuschauens, das beinahe zu einem voyeuristischen Akt wird. Aber sollte Theater als real existierender Ort mit real anwesenden Körpern nicht dennoch alle Möglichkeiten zur Versammlung, Gemeinschaftlichkeit, Interaktion, Unplanbarkeit, zur Kommunikation nutzen? Wenn doch wenigstens zur Premiere ein Public Viewing eingerichtet worden wäre…

„Der Bildschirm wird zur Bühne“, lautet die Behauptung – ein weiterer der vielen schön-schwammigen Sätze, die derzeit von der Volksbühne stammen. Nur: Zielt er nicht eigentlich doch vom (wortwörtlich) Dreidimensionalen ins Eindimensionale? Welche Inhalte kann eine so beschaffene Bühne noch verhandeln? Kann hier die angestrebte Auseinandersetzung mit Digitalisierung geleistet werden? Oder kann – entgegen der theaterwissenschaftlichen Dogmatik von realen Aufführungssituationen – Theatralität auch in virtuellen Räumen existieren? Wäre das ein Feld, das die Erkundung lohnt? Und: Kann so wirklich ein Theater der Zukunft aussehen? Noch stellen sich bei Volksbühne Fullscreen erheblich mehr Fragen, als es für die erklärten Absichten produktiv ist. Manchmal braucht man eben auch überzeugende Antworten.