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Buttercreme

Giuseppe Verdi: Il trovatore

Theater:Staatsoper im Schillertheater, Premiere:29.11.2013Autor(in) der Vorlage:Antonio García GutiérrezRegie:Philipp StölzlMusikalische Leitung:Daniel Barenboim

Wenn sich drei Weltstars des Klassik-Betriebes in einer Produktion tummeln, ist schon vorher der Verdacht groß, dass es sich weniger um Kunst als um ein Event handeln wird. Selbst dann, wenn für alle drei Rollendebüts zu vermelden sind: An der Berliner Staatsoper knöpfte sich Daniel Barenboim zum ersten Mal Giuseppe Verdis „Il trovatore“ vor, für Anna Netrebko war die Leonore eine Premiere, und Placido Domingo hatte zwar den Manrico schon gesungen, aber der Graf Luna war auch für ihn neu. Wobei solche Details fürs Marketing egal sind. Ausverkauft wären sämtliche Vorstellungen wahrscheinlich auch dann, wenn hier nur Abend für Abend Arien-Best-Of’s geträllert würden.

Promi-Hysterie im Parkett also, die auf der Bühne ihre Entsprechung findet. Jedenfalls in der Interpretation von Philipp Stölzl, der seine Inszenierung nicht unbedingt auf die Stars zugeschnitten hat: Erarbeitet wurde sie für die Wiener Festwochen im Mai. Ein Opern-Jux, dieser Abend, denn Stölzl wischt die krude Geschichte um die zwei verfeindeten Brüder, die von ihrer Verwandtschaft nicht wissen, um Leonore, Ziel ihrer Liebe, und die hexenhafte Zigeunerin Azucena mit einer lässigen Geste beiseite: Librettogerümpel halt.

Dass es nicht gar so einfach ist mit dieser in der Tat sperrigen Geschichte, ließe sich mit ein bisschen Geduld und Lust auf dramaturgisches Arbeiten herausfinden. Stölzl aber klebt seinen Helden jeweils ein Attribut auf die Stirn. Leonore? Eine Hysterikerin. Manrico? Ein Muttersöhnchen. Azcena? Eine schwer traumatisierte Irre. Graf Luna? Verrückt aus Liebe. Entsprechend wirkt der würfelförmige, spitz über den Graben hinausragende Raum wie ein Gefängnis, eine Gummizelle. Hier hopsen die Soldatenchöre in halskrausensatter spanischer Tracht wie mechanische Schachfiguren von einer Position zur nächsten, was immerhin atmosphärische Schattenrisse schafft. Hier turnen später auch die Zigeuner herum, ein durchgeknalltes Zirkusvolk, dessen Kostüme die höfischen Moden märchenhaft parodieren. Als Pathos-Persiflage funktioniert das, bringt aber die Erzählung nicht weiter. Selbst die surrealen Innenwelten, die sich hinter und über den zappelnden Knallchargen dank ausgetüftelter Videotechnik öffnen, wirken in ihrer Bilderbuch-Springteufeligkeit oft so grotesk, dass man sie als Interpretationsangebot nicht recht ernstnehmen mag.

Natürlich ist es komisch, wie Anna Netrebko in Platinblond und weitem Reifrock hysterisch die Hände in die Luft reckt und immer dann in Ohnmacht fällt, sobald jemand zum Auffangen neben ihr steht. Sie ist auch die einzige, die das Schillertheater so sehr mit Klang zu füllen vermag, dass einem das Trommelfell juckt. Für aufrichtige Gefühle ist ihre Stimme viel zu satt, zu sehr Buttercreme, um wahr zu sein. Aber man muss es ihr lassen: Wenn sie mal ihre makellosen Piani bemüht, trifft es einen dann doch.

Wesentlich differenzierter singt Marina Prudenskaya ihre Azucena. Ihr Mezzo schillert so vielfarbig warm wie ihre rot-orangene Lockenpracht-Perücke, flackert und peitscht im Feuerwahn, und sie ist auch die einzige, die immer in ihrer Rolle bleibt. Bei Placido Domingo wundert man sich vor allem, dass er noch immer dabei ist. 72 und dann diese Figur! Um die bella figura der Stimme steht es nicht ganz so gut. Auch nach seinem Fachwechsel zum Bariton besitzt sie etwas tenoral Strahlendes, natürlich singt er weiterhin klug, phrasiert meisterhaft. Aber man hört doch sehr, wie viel Kraft ihn das alles kostet: Er atmet zu oft, zerreißt so den Fluss gerade der lyrischen Passagen, da beginnt seine Stimme auch zu plärren, geht mit der Lautstärke auch die Genauigkeit flöten.

Allerdings könnte er seinem jüngeren Kollegen, dem relativ kurzfristig für den erkrankten Aleksandrs Antonenko eingestiegenen Gaston Rivero, sicher noch ein paar Tipps für den Manrico geben. Riveros Material ist gut, er hat Stahl und lyrischen Schmelz in der Stimme. Aber in der Stretta geht er kläglich unter im vokalen Kampf gegen die Kollegen und das gellend aufbrausende Orchester. Die Staatskapelle nimmt sich unter Daniel Barenboim nämlich nicht einen Moment zurück. Statt gegen den Humpta-Verdi anzuspielen, nimmt sie dieses zuweilen an Marsch und Nähmaschine erinnernde rhythmische Grundpulsen genau auf, setzt kontrastreich die sentimentalen Momente dagegen, spitzt mit Lust die dramatischen Höhepunkte zu. Das ist Schauerkitsch auf hohem Niveau und entspricht damit durchaus Stölzls Bühnengeschehen. Allerdings gilt auch hier: Identifikation? Fehlanzeige.

Muss ja auch nicht. Wer so viele Stars haben kann, wer wird da noch nach Inhalten fragen?