Foto: © Tommy Hetzel
Text:Anne Fritsch, am 19. Mai 2025
Milo Rau inszeniert im Rahmen der Wiener Festwochen Elfriede Jelineks Stück „Burgtheater“ am Wiener Burgtheater. 40 Jahre nach seiner Uraufführung, 80 Jahre nach Kriegsende. Gemeinsam mit dem Ensemble holt er den Text ins Heute und schafft einen intensiven und vielschichtigen Abend zwischen Lust am Spiel und Last der Vergangenheit, zwischen Analyse und Aktivismus.
„Österreich ist das einzige Land, das durch Erfahrung dümmer wird.“ Dieser Satz steht über dem Abend wie ein Motto. Und kurz durchfährt einen der Gedanke: Wie schön wäre es, wenn das wahr wäre. Wenn die Österreicher:innen wirklich die einzigen wären, die aus der Geschichte nichts oder das Falsche lernen. Leider ist das nicht so. Was diese Inszenierung umso wichtiger macht. Milo Rau inszeniert im Rahmen der Wiener Festwochen Elfriede Jelineks altes Stück „Burgtheater“. Im Burgtheater. Eine kleine Sensation: Nach der Uraufführung 1985 in Bonn war die Österreicherin Jelinek in ihrem Heimatland so großen Anfeindungen ausgesetzt, dass sie eine Aufführung des Stückes verbot. Jelinek formuliert es in einem Interview mit Milo Rau so: „Damals habe ich meinen guten Namen verloren und war abgestempelt für den Rest meines Lebens.“
In ihrem Stück beleuchtet die Autorin die Verstrickungen österreichischer Theater in den Nationalsozialismus, lässt Burgtheater-Ikonen wie Paul und Attila Hörbiger sowie dessen Frau Paula Wessely auftreten. Sie nimmt die Schauspieler:innen in die Verantwortung, zeigt Kontinuitäten und eine nicht stattfindende Entnazifizierung in der Kunst auf. Jelinek wurde zur „Nestbeschmutzerin“, das Stück von ihr gesperrt. Die Inszenierung von Milo Rau ist schon deswegen eine kleine Sensation. „Willkommen zum Making-of der ersten Inszenierung von „Burgtheater““, heißt es in der Begrüßung des Publikums, „45 Jahre nach der Niederschrift… und genau 80 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs… in Hitlers Lieblingstheater… dem Burgtheater“.
Kein Museums-Theater
Ein Making-of deshalb, weil Milo Rau keineswegs den Jelinek-Text eins zu eins inszeniert. Eine gute Idee: Dieser ist in künstlichem Wiener Dialekt geschrieben. Man merkt ihm an, dass er einige Jahre auf dem Buckel hat. Also nimmt Rau, dessen Interesse nie ein Museums-Theater ist, den Text als Sprungbrett in eine Auseinandersetzung mit der Kontinuität des Faschismus bis heute. Mit seinem Ensemble befragt er das Stück auf seine Bedeutsamkeit für Heute, inszeniert ihn als Spiel im Spiel und reflektiert die eigene und persönliche Haltung der Beteiligten zum Thema. Da ist zum Beispiel Mavie Hörbiger, die Enkelin von Paul Hörbiger, die sich ganz persönlich die Fragen stellen muss, warum sie hier nun ihren Großvater spielt und was das mit ihr macht. Und da ist Caroline Peters als Attila Hörbiger, die tatsächlich als Kind mit ihrem Vater die Uraufführung von „Burgtheater“ gesehen hat und nun wortwörtlich mit ihrem kindlichen Alter Ego konfrontiert wird. Dora Staudinger spielt die kleine Caroline, die die große mit ihren Fragen nervt und fordert.

Die Bühne bei der Inszenierung von „Burgtheater“ wandelt sich zwischen Garderobe, Museumsraum und Hitler-Portrait. Foto: Tommy Hetzel
Zeiten und Perspektiven vermischen sich. Die originalen Szenen überlagert Rau mit absurden Elementen, lässt die Töchter des Hauses akrobatische Nummern an der Pole-Stange oder am Trapez vorführen, während die Erwachsenen über Kunst und Politik sprechen und sich geistig noch mehr verbiegen als die jungen Damen (Maja Karolina Franke und Alla Kiperman) in ihren Akrobatiknummern. Da holt zum Beispiel Birgit Minichmayr als Paula Wessely an der langen Tafel Sätze wie diesen aus ihrem Inneren hervor: „Ich spielte damals gern Frauen aus dem Volk, damit es glaubhaft wurde, dass auch ich viel runterschlucken musste. Auch ich bin das Volk. Ich bin ganz allein das Volk. Ich ganz allein bin ein ganzes Volk, weil ich so vielseitig bin.“ Großartig, wie sie eine spielt, die glauben will, was sie da sagt, und der das doch nicht wirklich gelingen mag.
Vexierbild der Wirklichkeit
Dieser Abend ist mehr als eine Abrechnung mit dem Burgtheater der Vergangenheit. Der Blick geht weiter, fragt, wie die Mechanismen der Theater heute sind, wer wen spielt und warum. Annamária Láng erzählt, wie sie vor Viktor Orbán aus Ungarn floh, im Burgtheater als Teil eines „diversen“ Ensembles engagiert wurde, nur um dann immer „die ungarische Bedienstete“ zu spielen. Itay Tiran reflektiert sein Arbeiten als „jüdischer Schauspieler“ zwischen neuen faschistischen Parolen in Österreich und den Kriegsverbrechen von Israel im Gaza. Milo Rau belässt es nicht bei der Vergangenheit: Er schaut nach draußen, in die österreichische Politik, wo der FPÖ-Extremist Strache ungeniert „Gebt Gas, ihr Germanen, wir schaffen die 7. Million“ singt. In Splatter-Szenen macht Rau klar, wie schnell unter einem weiß gedeckten Tisch, unter der Fassade der Bourgeoisie zügellose Gewalt ausbrechen kann. Da wird dann ein Widerständiger wie Jelineks „Alpenkönig“ kurzerhand abgemetzelt. Gespielt wird diese „exotische Figur, die irgendwie von woanders kommt“ von Safira Robens, und natürlich wird auch das thematisiert.
Rau springt hin und her zwischen den Realitätsebenen, macht den Abend zum Vexierbild einer komplexen, bedrohlichen und unübersichtlichen Wirklichkeit. Bühnenbildner Anton Lukas hat eine Drehbühne entworfen, die neben dem Bühnenraum für die Jelinek-Texte eine Garderobe für private Gespräche, einen Museumsraum und ein Büro mit Hitler-Portrait enthält. Ist das nun zu viel für einen Theaterabend? Der Jelinek-Text, die Reflexionen der Spieler:innen, das Sichtbarmachen von Strukturen im heutigen Theater, die aktuellen politischen Entwicklungen? Merkwürdigerweise nicht. Das Ergebnis sind knapp zweieinhalb Stunden abwechslungsreiches und immer wieder überraschendes Theater. Am Ende blitzt eine kurze Utopie auf, dass das Theater mehr sein könnte als Theater, dass die Hoffnung nicht auf verlorenem Posten steht, die Liebe größer ist als der Hass und wir mehr sind als „lächerliche Idealist:innen“. Es liegt an uns, wie es weiter geht. Und es geht um viel, womöglich um alles.