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Brot und Spiele

Richard Wagner: Parsifal

Theater:Oper Köln, Premiere:29.03.2013Autor(in) der Vorlage:Wolfram von EschenbachRegie:Carlus Padrissa (La Fura dels Baus)Musikalische Leitung:Markus Stenz

Schon zu den ersten Tönen des „Parsifal“-Vorspiels flimmert ein Formel-1-Autounfall mit tödlichem Ausgang über die Leinwand. Auf der Bühne werden liegende Statisten langsam nach oben gezogen und dann sachte wieder unten abgelegt. Jetzt wird Krieg angedeutet auf der Leinwand. Wieder schweben die Körper auf und nieder. Worum geht es? Männerwahn? Seelenwanderung? Wird hier der Pfad gelegt für eine neue, andere Interpretation von Wagners Bühnenweihfestspiel?

Für die theatrale Gestaltung ist in Köln La Fura dels Baus zuständig. Die katalanischen Bühnenmagiere interpretieren nicht. Sie lauschen dem Wort und dem Klang Bewegungen und Rituale ab, gründeln im historischen und philosophischen Umfeld des Werkes und entwickeln so „neue“ Bilder, die sie ihren eigenen Ausdrucksmitteln gegenüberstellen. Das Ganze wird mit Projektionen, unruhigem Flimmern, optischem Rauschen versetzt. So entsteht ein Netz von sich überlagernden, oft sehr sinnlichen, manchmal sehr naiv gesetzten Reizen, das im Idealfall beim Zuschauer Assoziationsketten initiiert, die auf das Stück zurückführen.

Amfortas und Klingsor, vom selben Sänger dargestellt, haben Nietzsche-Schnauzbärte im Gesicht. Klingsor sieht aus wie Ottfried Preußlers Petrosilius Zwackelmann und lässt sich nach Speerverlust flagellantisch durchwalken, während Amfortas als blutüberströmter (syphillitischer?) Leidenskerl gegen Ende Titurels Leib – mit Wagnerbart und -barett – aus einem Tuch mit der Aufschrift „Gesamtkunstwerk“ nimmt und aufschneidet – wie einen Sonntagsbraten??? Anderes Beispiel: Die Blumenmädchenszene. Sie wirkt, als habe sich der jungfräuliche Parsifal in die virtuelle Welt eines futuristischen Computerspiels für über 16-Jährige verirrt. Hier wirkt die Szenerie zwar bizarr, sogar ein wenig verbraucht, aber sie trifft, stimmt zur Musik und wird durch Sängerinnen und Orchester zu einem wunderbar leichtfüßigen, sehr dynamischen Höhepunkt des Abends.

Bildliche Grundidee sind vier immer wieder neu zusammengeschobene viertelkugelförmige Gerüste, die mit Statisten mit Mundschutz und weißen Overalls bestückt sind. „Brain“ wurde diese veränderliche Skulptur im Vorfeld von den Produzenten genannt, „Gral“ gar von der Intendantin Birgit Meyer. Zu sehen ist die Anmutung einer belebten Steuereinheit, eines individuellen oder gesellschaftlichen Gedanken- und Gefühlszentrums. Wenn Parsifals Libido im zweiten Akt erwacht, funkeln die Statisten mit ihren Lichtern. Im ersten Akt sondern sie Mehl ab, das die Knappen in beleuchteten Tabletts auffangen und Gurnemanz zur Verfügung stellen, der daraus Brot backt. Diese absonderlich anmutende Idee zieht sich konsequent durch den Abend. Brotteig wird verwendet, um Amfortas‘ Schmerzen zu kühlen. Im zweiten Akt hat Kundry vier Brotlaibe unter sich – und in einer Projektion zwei auf den Ohren wie Kopfhörer, wozu sie sich tänzerisch bewegt. Im dritten Akt sind die „Brain“-Podeste beiseite geräumt. Jetzt beherrscht ein riesiger Backofen die Bühne. Nach dem Karfreitagszauber wird sogar eine Art utopische Fortschreibung des Stückes ins Werk gesetzt: Kundry macht, mit Laub geschmückt, eine Metamorphose zur reinen jungen Frau durch und schwimmt durch eine Art Gralsbecken, in dessen Mittelpunkt der Speer eingeführt wird. Von diesem Moment an wandern Brotkörbe durch Publikum und Chor. Die ewige Männerwelt öffnet sich und ersetzt ihr exklusives Ritual durch tätige Versorgungsarbeit für die komplette Gemeinschaft.

Musikalisch hinterlässt dieser „Parsifal“ gemischte Gefühle, was vor allem an der entsetzlich trockenen Akustik  des  Kölner Musical Dome liegt, die den Klang nachgerade am Boden festhält. Obwohl die soliden Chöre teilweise aus dem Zuschauerraum erklingen, mag sich Wagners vertikale Klangarchitektur so nicht formen lassen. Markus Stenz versucht, aus den Bedingungen das Beste zu machen. Er formt mit dem hervorragenden Gürzenich-Orchester nicht unbedingt einen großen Bogen, aber einen steten Fluss mit frischen, sehr konstanten Tempi und wunderbar selbstverständlich modellierten Übergängen.

In diesem akustischen Umfeld haben es die Sänger naturgemäß nicht leicht, zumal der Regisseur Carlus Padrissa Personenführung im engeren Sinne nicht im Repertoire hat. So schöpft denn jeder ein wenig aus sich heraus. Die Textverständlichkeit ist hoch, es sind viele musikalisch und gestisch fein ausgeformte Phrasen zu vernehmen, aber keine wirkliche Gesangslinie. Matti Salminens Gurnemanz nimmt durch gelassene Autorität genauso für sich ein wie die Kundry der Dalia Schaechter mit ihrer dramatischen Expressivität. Marco Jentzsch lässt durch gute Artikulation verschmerzen, dass es ihm an Tenorstrahlkraft mangelt. Der die Vokale nur so zerquetschende Boaz Daniel allerdings wird der Doppelrolle als Klingsor und Amfortas mit zu lyrischem Bariton nicht gerecht.

Dieser „Parsifal“ ist ein merkwürdiger Theaterabend, in fast jedem Detail diskussions-, sogar fragwürdig, als ‚Gesamtkunstwerk‘ aber überraschend kurzweilig, phasenweise sogar fröhlich und auf recht angenehme Weise festlich.