Das erste Stück von Alexi Kaye Campbell: „Pride“ am Staatstheater Nürnberg.

Britisches Problemumwälzungs-Theater

Alexi Kaye Campbell: Pride

Theater:Staatstheater Nürnberg, Premiere:26.02.2011Regie:Maik Priebe

Eine Weisheit vom britischen Problem-Boulevard: Doppelt gelebt hält auch nicht besser. Die Herren Oliver und Philip sind ein Krisen-Paar auf Zeit in zwei Existenzen. Erst im moralinsäuerlichen 1958, dann ein halbes Jahrhundert später in der Trendy-Gegenwart des gaywaltigen Mainstream-Hedonismus. Beim ersten Versuch bleibt ihre sexuelle Neigung im Schattenwurf der gesellschaftlichen Zwangsmoral von Verwirrung und Verdrängung umfangen. 2008 verrutscht der Konflikt in der Grauzone des Lustgewinns, denn jenseits gefallener Tabu-Grenzen muss ja der Bestand einer Beziehung gegen den Lockruf der Freiheit verteidigt werden. Meint der Autor und spielt alles im dramatischen Pendelverkehr zwischen den Zeiten durch. Alexi Kaye Campbell, der 45-jährige Londoner Schauspieler, hat mit seinem ersten Stück „Pride“ daheim mehrere Preise kassiert. Nürnbergs Schauspiel pflegt mit der Deutschland-Premiere seine Vorliebe fürs transparente britische Problemumwälzungs-Theater.

Auf der weitgehend leeren Bühne von Susanne Maier-Staufen nur einschließendes Gitterwerk, an dem sich das Paar zur scheppernden Sex-Szene verkrallen kann. Dazu eine lange Bank, exakt wie sie Jürgen Gosch für seine Tschechow-Inszenierungen immer wieder bauen ließ. Hier sitzen nun vier abrufbare Zeugen für den Bewusstseinswandel der Gesellschaft in zwei Modellfällen. Sylvia ist im Konflikt-Dreieck erst die betrogene Ehefrau und dann der weibliche Schwulen-Kumpel aus vielen TV-Serien (Tanja Kübler spielt beides resolut), fürs SM-Intermezzo eines Internet-Escorts und ähnlich komische Zwischenspiele hat Stefan Lorch das richtige Timing. Aber letztlich liegt die ganze Last der „Pride“-Aufführung auf dem Duo – und da bleibt der Stolz auf solides schauspielerisches Handwerk beschränkt.

Der verklemmte Ehemann im ersten Teil wird zum schwulen Treue-Softie im zweiten (Marco Steeger achtet sehr auf intakte Klischee-Abwehr) und der schon 1955 unbefangen baggernde Teilzeit-Partner kehrt mit noch mehr Offenheit an Hemd und Moral als Blowjob-Süchtiger zurück: Stefan Willi Wang sucht stärkeren Rollen-Kontrast und rutscht dabei vom lässigen Streber ins Coolness-Abziehbild der TV-Pointenschleudern von „Queer as Folk“. Die durchweg gespreizten Dialoge, denen Regisseur Maik Priebe in fast drei Stunden zu sehr vertraut, bohren 1958 wie 2008 spiralenförmig in dünne Bretter, während Kleidung und Frisur die rasanten Zeitreisen unangetastet überdauern. Dass dies alles mit unsichtbarer Kulissenschiebung verbunden ist – vor und nach dem Paragraphen 175, mit und ohne Aids-Bedrohung – lässt die Aufführung unbeachtet. Im harten Schnitt der vor- und rückwärts springenden Szenen gelingen ihr aber Momente angenehm irritierender Verwirrung, wenn der Zuschauer die Echt-Zeit im eigenen Kopf ordnen und seinen Glauben an den sympathischen „Alles wird gut“-Optimismus des Autors zwangsläufig im Blick aufs halbe Jahrhundert überprüfen muss.