Schlussbild von "Musik für die Lebenden" am Theater Bonn

Krieg im Theater

Gija Kantscheli: Musik für die Lebenden

Theater:Theater Bonn, Premiere:15.06.2025Regie:Maxim Didenko

Eine georgische Oper aus dem Jahr 1984 am Theater Bonn: „Musik für die Lebenden“ ist surreales und ironisches Musiktheater über den Krieg, berührend aufgeführt.

Es ist Krieg. Bomben fallen, eine nicht explodierte Rakete steckt im Boden, eine Schulklasse hat sich in ein Theater geflüchtet. Die Situation ist schmerzvoll eindeutig, Gija Kantschelis Musik hingegen langsam, ein Streicherbett, zupfende Geigen, lang ausgehaltene Solo-Töne, Volkslied-Melodien und Kinderstimmen auf der Bühne. Man wird in das Leid der Menschen  hineingezogen, obwohl im engeren Sinne nicht erzählt wird: Die Figuren stammeln im ersten Akt Worte aus der georgischen oder der sumerischen Sprache, die semantisch keinen Sinn ergeben. Gleichzeitig wird das Geschehen konkreter. Die Besatzungsmacht tritt auf und wir erleben ganz surreal eine Fabel um ein Krokodil und eine Hasenfamilie; es geht um Gewalt und Rache.

Krieg ohne Realismus

Im Mittelpunkt des Geschehens steht ein Lehrer (Ralf Rachbauer mit intensivem Tenor), der im Bombenhagel erblindet. Vielleicht ist die ganze Handlung nur eine Ausgeburt seiner Fantasie, oder Angst? Regisseur Maxim Didenko hält die Handlung klug in der Schwebe zwischen Leben und Kunst, verweigert Realismus. Zu deutlich sind die Vorgänge choreografisch gestaltet, zu oft betreten Bühnenarbeiter sichtbar den Raum und räumen auf.

Nach 40 Minuten ist Pause und das Theater wird bei geöffnetem Vorhang umgebaut. Man denkt nach über die Wirklichkeitsnähe dieses Stücks, vor allem, weil es schon vor 40 Jahren uraufgeführt wurde, weil Krieg und Terror zu Grundkonstanten unserer Zeit geworden sind und offenbar keiner großen musikalischen Gestik mehr bedürfen.

Nach der Pause wird im Theater tatsächlich Oper gespielt: das fiktive Stück „Liebe und Pflicht“. Der Italiener Arturo liebt Silvana, aber sie hat sich mit dem französischen Marquis verheiratet, um seine Fremdenfeindlichkeit zu besänftigen (das Stück spielt im 19. Jahrhundert in Italien). Wieder fallen Bomben auf das Theater, das Publikum bezieht Partei, alle Figuren im Stück sterben. Die Musik ist hier Opern-Ironie, dick aufgetragen, aber durchaus amüsant und farbig gespiegelt von Video und Kostümen. Warum spielt man im Krieg Theater? Warum wird im Theater gestorben? Was führt die Leute hier zusammen? Was heißt in diesem Zusammenhang „Die ganze Welt ist ein Theater“, das mehrfach gesungen wird? Diese Fragen werden in Didenkos Inszenierung augenzwinkernd und mit viel lustvoller Distanz zur künstlerischen Institution Oper gestellt.

Die Antwort ist Stille, wie oft bei Kantscheli. Der Theatervorhang fällt und das stille Chaos bricht los in Form von verstümmelten Kriegsopfern. „Die Welt ist zerfallen, das Spiel ist zu Ende“, singt der blinde Lehrer. Ein stilles Verlöschen. Zeit vergeht, die Natur beginnt, das Theater zu erobern. Dann kommen Kinderstimmen und Licht zurück, stimmen Hoffnung und Zuversicht an.

Nicht Dystopie, nicht Utopie

Vielleicht brauchen wir „Lebenden“ diesen unwirklichen Schluss, weil er dem Spiel ein Ende gibt und das Publikum wirklich nach Hause entlässt. Das funktioniert, weil „Musik für die Lebenden“ in Bonn eine deutliche Parabel ist, ohne jeden Realismus, weder Dystopie noch Utopie, sondern erfüllt vom Wissen um die Grausamkeit des Menschen und von Hoffnung für sein Fortbestehen.

Das gilt auch für das Theater als sozialen Ort. Was nur geht, wenn alle so zusammenwirken wie hier: Daniel Johannes Mayr und das Beethoven Orchester beleben die Musik, stellen selbst die Kanonenschläge als musikalische Erlebnisse hin. Auch das Engagement und die Genauigkeit von Chor-, Kinder- und Jugendchor des Theaters beeindrucken so wie die farbenfrohe Ausstattung von Galya Soldovnikova (Bühne und Kostüme) und Oleg Mikhailov (Video) und natürlich das Ensemble und die Tänzerinnen und Tänzer. Alle spielen und arbeiten auf höchstem Niveau zusammen. Und das ist vielleicht doch so etwas wie eine Utopie.