Klar, Ätz, Knax und Kling (Jonas Fürstenau, Lukas Rüppel, Bijan Zamani, Marlène Meyer-Dunker) in der Heckmanns-UA am Staatsschauspiel Stuttgart.

Börsen-Crash-Klamauk

Martin Heckmanns: Wir sind viele und reiten ohne Pferd

Theater:Staatsschauspiel Stuttgart, Premiere:20.05.2012Regie:Marc Lunghuß

Während die „Blockupy“-Bewegung gerade für einen Ausnahmezustand rund um das Frankfurter Bankenviertel sorgte, rollt die Occupy-Welle durch die Spielstätte Nord des Staatstheaters Stuttgart. Ganz oben surft Martin Heckmanns mit. Mit seiner Auftragsarbeit „Wir sind viele und reiten ohne Pferd“ lässt er sich und seinen Zuschauern die globalisierungskritische Gischt der entfesselten Finanzmärkte mitten ins Gesicht spritzen. Gleich in der ersten Szene rauschen uns die „Schuldenkrise“ und die „Bevölkerungsexplosion“, das „Klimaloch“ und das „Brennstoffende“ als verbale Menetekel um die Ohren, vorgetragen von einem vierköpfigen Ensemble, dem zwar die Rollennamen Knax (Bijan Zamani), Kling (Marlène Meyer-Dunker), Ätz (Lukas Rüppel) und Klar (Jonas Fürstenau) verpasst wurden, das aber als entindividualisiertes Kollektiv agiert: protestierend, empört witzelnd, skandierend und von Fall zu Fall auch mal als Chor.

Der Text wirkt in seiner Collagetechnik aus Zeitgeist-Floskeln und Demo-Parolen wie eine Fläche, nicht wie eine dramatische Dialog-Folge. Aber das liegt in erster Linie an Marc Lunghuß‘ Inszenierung. Er lässt sein Quartett vor dem Pappmaché-Fries der New Yorker Börse (Bühne: Martin Dolnik) gruppendynamisch agieren und agitieren, nicht als Einzelcharaktere. Dabei werden die Mittel des Comedy-Entertainments und des TV-Trashs weidlich genutzt. Passend insofern, als Heckmanns in seinem Stück auch die schreckliche Neureichen-Familie der Geissens aus einem Privatsender-Format abwatscht. Und weil’s auf der Bühne keine genretypischen Werbeunterbrechungen gibt, darf wenigstens über die Marketing-Maschen von Ikea, Apple & Co. abgelästert werden. Apropos Marketing: Die geballte Faust wählte der Stuttgarter Intendant Hasko Weber nicht nur wegen seiner „Faust“-Inszenierung als Signet des Staatstheaters, sondern auch als klares Statement zu seiner Programmatik. Diese Faust ziert nun auch einige Requisiten der Uraufführungsinszenierung. Ein selbstreferentieller Gag, der Laune macht. Fast ist man geneigt, an der Faust einen nach oben ausgestreckten Daumen nach dem Vorbild römischer Imperatoren oder eines imperialen sozialen Netzwerkes zu ergänzen.

Heckmanns wäre nicht Heckmanns, wenn er sich in seinem kapitalismuskritischen Diskurs nicht auch mit den Grenzen und Möglichkeiten der Kunst als gesellschaftliches Korrektiv auseinandersetzte. Er tut das glücklicherweise nicht theorielastig, sondern lässt eine Figur augenzwinkernd sagen, vieles wirke wie zeigefingernde Jugendliteratur. Dass die Regie darauf gripstheaternd reagiert, versteht sich fast von selbst (womit natürlich nichts Schlechtes über das Grips-Theater gesagt sein soll!). Wenn mit einem toten Esel ein „Lehrstück über Leerverkäufe“ als Komödienstadl veranstaltet wird, wenn die Erniedrigten und Beleidigten als Papp-Figuren von dem Börsen-Fries kippen und wenn das protestierende Quartett von einem Miniatur-Wasserwerfer angespritzt wird, gleicht das zwar tiefen Griffen in die Mottenkiste der Klamotte, aber auch die gehören seit jeher zum stilistischen Repertoire der Spaßguerilleros. „Toll!“ Dass ausgerechnet so das letzte Wort des stets um Ironie bemühten Abends lautet, eröffnet eine ganze Assoziationskette. Während der langanhaltende Applaus des Publikums verrauscht, ergänzt man im Geiste „-patschig, „-kühn“ oder „-dreist“. Alle drei Adjektive werden dem Abend gerecht.