Dorothea Brandt in "Herrschaft, Arbeit und Soziales" in Wuppertal.

Blicke auf die Macht

M.Kagel/ L.Nono/ F.Rzewski: Herrschaft, Arbeit und Soziales

Theater:Wuppertaler Bühnen, Premiere:10.12.2011Regie:Markus HöllerMusikalische Leitung:B.Brinkmann / E.Caspari

Das Foyer ist ein Ausstellungsraum des Industriemuseums „Historische Zentrum“ in Wuppertal-Barmen. Merkwürdige Stahlgebilde, vermutlich ersonnen, um Arbeit zu entindividualisieren, sie effektiver und berechenbarer zu machen, dienen als Einstimmung auf einen Abend, der in 80 Minuten drei Stücke bündelt, die kritisch Vorstellungen von Macht und Machtstrukturen vermitteln.

1964 hat Luigi Nono in einer metallverarbeitenden Fabrik O-Töne aufgenommen. Auf Basis dieses Materials – und seiner Eindrücke vom Arbeitsalltag – hat der Komponist die vierspurige Klangcollage „La Fabbrica Illuminata“ mit Chor und Sologesang kreiert. Er wollte damit vor allem Fabrikarbeitern ihre Situation bewusst machen. Im gesichtslosen Saal der alten Remise steht ein Oktogon aus halbtransparenten Stellwänden zwischen vier großen Boxen. Die Zuschauer gruppieren sich um das Achteck, auf das schlierenhafte geometrische Formen projiziert werden wie bei einer Laterna Magica. Dahinter ist der Schatten eines Menschen zu ahnen. Laute Arbeitsgeräusche erklingen, Metall auf Metall, Stimmengewirr, Gesangsfetzen, auch eine hohe, schöne Stimme aus der Mitte. Die an Kabeln hängende Sopranistin Dorothea Brandt schiebt die Stellwände Stück für Stück nach außen. Sie gibt den Blick frei auf ein Traversengestell, einen Baum aus Stahl mit einer Krone aus Lämpchen und reflektierenden Glasflächen, von Kabeln umwuchert wie von Efeu. Am Ende hat sich die Sängerin befreit und sieht still die ununterbrochen rotierende, perfekte Maschine an, ein starkes, dialektisch lesbares Bild

Auf einem gewaltigen Schreibtisch ist jede Menge technisches Gerät angeordnet. Dahinter befinden sich drei Leinwände. Davor sitzt das Publikum. Ein Mächtiger arbeitet an einer Rede, mit der er einmal mehr das „Volk“ vereinnahmen will. Der brillante Olaf Haye spielt sich permanent vom Band Applaus zu, bespiegelt sich in Projektionen, sieht sich selbstverliebt zu, wirkt gefährlich, verdorben, aber durchaus menschlich und charmant. Maurizio Kagels „Tribun“ von 1979 ist taufrisch, seine saftig-sarkastischen Pointen knallen wie ehedem („Ich habe euch befreit vom freiheitlichen Frieden.“), schlüssig konterkariert durch „zehn Märsche um den Sieg zu verfehlen“, vorsätzlich abgestürzte Prunkunterhaltungsstückchen, die die dreißig minütige Performance klingend strukturieren.

Regisseur Markus Höller lässt bei beiden Stücken die historische Distanz zu, vermeidet krampfhafte Aktualisierungen, strukturiert und rhythmisiert dezent und verlässt sich auf dramatische Kraft und Schönheit von Text und Musik. So stellt sich zwingend die Frage nach der geringen Spielplanpräsenz von Nono und Kagel.

Den Abschluss des Tryptichons bildet „Coming Together“, eine konzertant aufgeführte Kantate des 1938 geborenen Amerikaners Frederic Rzewski, aggressive Minimal Music für Sprecher und Kammerorchester mit ungewöhnlichen Klangreibungen, etwa zwischen Kontrafagott und Marimbaphon. Textvorlage ist ein Brief des Häftlings Sam Melville, der 1971 bei gewaltlosen Protesten gegen Haftbedingungen erschossen wurde. Der Text wird fragmentiert in vielfachen Wiederholungen wieder gegeben. Die komplexen musikalischen Abläufe werden von der Dirigentin Eva Caspari und dem Sprecher Gregor Henze hervorragend organisiert. Die dramaturgische Linie zu den anderen Stücken erschließt sich, die inhaltliche Qualität des Werkes kaum.