Foto: Szene aus "Prince of Denmark" © Nils Heck
Text:Björn Hayer, am 7. November 2021
Hamlet, der Rächer. Hamlet, der Frauen- und Körperfeind. Hamlet, der dem Wahn verfallene. Solch eine von Affekten und Emotionen getriebene Figur stellt geradezu eine Einladung für Karikaturisten dar und bietet reichlich Stoff für unsere Zeit. Wohl auch aus diesem Grund hat sich Tue Biering des Shakespeare’schen Klassikers im Rahmen einer Überschreibung angenommen, die vor allem eines ist: gleißende Satire. Vor der Kulisse von Liegestühlen, Kunstpalmen, Basketball-Korb, eines Planschbeckens sowie eines loungigen Wohnbereichs soll sich das Menschheitsspektakel abspielen. Nur wann? Denn zunächst streitet man darüber, wer eigentlich den titelgebenden Helden mimen darf. Müsste ihn eher Daniel Scholz übernehmen, der – wie er betont – sich schon so viele Verdienste am Staatstheater Darmstadt, dem Premierenort, eingeholt hat? Oder eben doch der „Authentische Däne“? Nämlich der in Kopenhagen lebende Morten Burian?
Nun soll es Letzterer versuchen. Während man indessen Pizzas im Ofen zubereitet sowie die Stimmung mit Schampus und Cola aufhellt, geht im Weiteren fast alles schief. Immer wieder wird das Stück unterbrochen. Allen voran die Hamlet-Wahl erweist sich nun als veritables Problem. Denn der Antiheld muckt gegen die Textvorgaben auf. Mit Aktionsshirts gegen eine verlogene Bühnenkunst oder einfach ganz nackt trommelt er für das politische, alle Verhältnisse umwerfende Theater – exakt so, wie es ihm der Geist der Ahnen vorgibt. Dieser findet sich in einem herrlichen Statisten, der als Vertreter der Partei MLPD gegen die mediale Ausgrenzung revolutionärer Bestrebungen und überhaupt den dämonischen, alles verschlingenden Kapitalismus wettert.
Aber Unzufriedenheit herrscht in dieser slapstickartigen Meta-Inszenierung auch bei anderen vor, insbesondere bei den Frauenfiguren: So fordert Hamlets Mutter in einschlägigen Posen, endlich als Milf wahrgenommen zu werden und ihre sexuelle Freiheit im ersehnten Gangbang zu verwirklichen. Von Wut über ihre Rollenfixierung überwältigt ist indessen die von Marielle Layher verkörperte Ophelia. Zwar mag sich der gänzlich anklagende Monolog, der in Artikulation und Zorn an Shylocks Anklage der ignoranten Christen aus Shakespeares „Der Kaufmann in Venedig“ erinnert, nicht passend in das ansonsten stark groteske Stück fügen, gleichwohl verhandelt er aktuelle Fragen der Theaterkultur: Wie viel Machtungleichheit und -missbrauch prägen das deutsche Schauspiel? Und wie viel geschlechtspolitische Altlasten in kanonischen Werken sollte man heute textkritisch aushandeln? Dass Ophelia entgegen ihres dramatisch vorgetragenen Wunsches, nicht sterben zu wollen, am Schluss ertränkt wird, manifestiert indessen erneut die patriarchale Logik des Theaterbetriebs und klassischer Literatur.
Plakative aber nötige Kritik
Obgleich dieser Abend mit vielen Bildern und mit einem humoristischen Feuerwerk aufwartet, bleibt jedoch Skepsis. Denn Shakespeares Tragödie eine chauvinistische Grundierung zu attestieren und dies innerhalb einer Bearbeitung zu tun, die mit Brechts Verfremdungseffekten alle Register der Dekonstruktion und Zerlegung von Stereotypen zieht, mag aus gegenwärtiger Perspektive wohlfeil sein. Es ist doch ein Leichtes von unserem Standpunkt aus den Künstlern früherer Jahrhunderte mangelnde Aufklärung vorzuwerfen. Oder um es negativ zu sagen: Plakativer geht es gar nicht.
Fällt also der Text, der der aktuellen dramaturgischen Untugend zur bloßen Ironisierung kanonischer Texte anheimfällt, nicht gerade originell aus, überzeugt zumindest das umwerfende Spiel der AkteurInnen. Selten erlebt man eine derartige Verve, wie sie Morten Burian demonstriert. Besonders hervorzuheben ist eine Szene, in der er den allzu ernsten Geist der Deutschen auseinandernimmt und verschroben Bruno Ganz‘ Hitlerrolle parodiert. Seine Kraft und Vielfältigkeit im Ausdruck sind mitreißend. Dasselbe gilt für die mürrische Marielle Layher. Keine Frauenrechtsaktivistin hätte vehementer und eindringlicher das Los von Darstellerinnen auf den Bühnen thematisieren können.
Wer folglich Shakespeare in Darmstadt sehen will, für den dürfte diese Realisierung wie ein einziger Klimbim anmuten. Weder erfährt er Neues, noch Hellsichtiges in Bezug auf die Vorlage. Wegen der selbstreflexiven Auseinandersetzung des Theaters mit seinen verkrusteten und misogynen Strukturen lohnt sich ein Besuch aber allemal. Geboten wird in dieser demaskierenden Schau nämlich bedeutend mehr Sein als Schein.