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Bissige New-Economy-Farce

Friedrich Cerha: Onkel Präsident

Theater:Gärtnerplatztheater, Premiere:01.06.2013 (UA)Autor(in) der Vorlage:Ferenc MolnárRegie:Josef KöpplingerMusikalische Leitung:Marco Comin

Wolf-Dieter Peter

Schon 1929, inmitten der damaligen wahnwitzigen Spekulationsblase, hat der österreichisch-ungarische Dramatiker Ferenc Molnár ironisch und gesellschaftskritisch gezeigt, wie eine mit viel Geld betriebene Maschinerie binnen einer Stunde – eben „Eins, Zwei, Drei“ – einen Menschen komplett verwandelt. Billy Wilders gleichnamige Filmkomödie  von 1961, die Kommunismus und Kapitalismus rivalisieren lässt, gehört zu den Klassikern des Genres. Ob sich aus der Verwandlung eines proletarischen Fahrradboten in einen smarten Manager auch eine zeitgenössische Oper machen lässt, war nun im Münchner Prinzregententheater in „Onkel Präsident“ zu prüfen.

 Die offensichtlichen Parallelen zum neoliberalen Finanz-Wahnsinn unserer Tage haben nun zwei lebenserfahrene, aber nicht verbitterte Wiener mit viel bissiger Ironie auf der Bühne entlarvt: der 86jährige Komponist Friedrich Cerha und der sein gleichfalls grauhaariger Librettist Peter Wolf. Ihr sehr heutiger Konzern-Präsident muss als Onkel einer Milliardärstochter aus deren geliebten Fahrradboten mit Rastalocken binnen einer Stunde einen passablen Schwiegersohn für die aus den USA einfliegenden Eltern machen: souverän und gevift nutzt er Beziehungen, Wissen um menschliche Schwächen und immer wieder Geld, viel Geld. Alle sind auf die ein oder andere Art zu kaufen: natürlich Star-Coiffeur und Modepapst, erst recht Skandalreporter und alter Adel, dann Untergebene, Aufsichtsräte und Uni-Präsidenten, Arzt, Priester – und als selbstironischer Seitenhieb: auch der Komponist Cerha, der für banale 6000 einen Hochzeitsmarsch komponiert. Binnen einer Stunde tritt der junge Mann als adoptierter Graf, Generalkonsul und Generaldirektor dem kurz erschreckenden „Onkel Präsident“ wie ein junges alter Ego gegenüber – eine herrliche Regie-Nuance.

Auch den übrigen Wirbel hat Gärtnerplatzintendant und Regisseur Josef Köpplinger im weiß gestylten Konzernambiente von Johannes Leiackers Bühne temporeich und mit durchgängiger Ironie in der Typisierung inszeniert: Da reihen sich aufgeblähte Eitelkeit, mühsam kaschierte Geldgier, dumme Willfährigkeit, Renommiersucht und ohnmächtige Ergebenheit in reizvollen Spielarten – bis zum Boulevard-Papparazzo „Didi Kva?a“ – sprich: „Quatscher“ – und seinem „Grundrecht auf Skandal“. Der Präsident bringt ihn zum Schweigen, indem er einfach dem Chefredakteur droht, die ganze Zeitung zu kaufen und einen neuen Chef einzusetzen. Am Ende sind die Milliardärseltern übertölpelt und überwältigt, das junge Paar glücklich – und per donnerndem Hubschrauberlärm und Bühnenrauch fliegt der Präsident in eine Urlaubswoche „ohne alles“: ohne Handy, Mails, Anrufe, Wellness-Animateure und hoffentlich „stummen Gästen und Personal“…

All das haben Cerha und Wolf mit einem Vorspiel und einem Epilog versehen: der Präsident sitzt mit einem alter Ego des Komponisten Cerha (sonor: Robert Holl) auf einer Bank im Bergwald. Ironisch über die „Oper“ spottend – „zu lang“, „verpatzt den ganzen Abend“, „schwachsinnige Texte“, „dennoch 400 Jahre überlebt“ – reift der Plan: Der Präsident erzählt seinen gestrigen Arbeitstag – „nichts ist so unwahrscheinlich wie die Realität“ –, und das ist die beschriebene einaktige Haupthandlung. Darin ein zusätzlicher, dramaturgisch witziger Aspekt: Der Präsident mehrfach, einmal der junge Liebende, sie treten an die Rampe und aus der Theaterillusion heraus und meckern den Dirigenten an, dass die Arie zu lang, das Orchester zu laut sei oder eine gestrichene Partie unbedingt wieder eingefügt werden müsse – zusätzliches Amüsement im Publikum.

Aus Cerhas gemäßigt moderner, gut sanglicher, mitunter zu wenig pointierter Musik konnte Dirigent Marco Comin eher nur einen Soundtrack machen: für die vor Witz, Bosheit und gespenstisch entlarvender Treffsicherheit nur so sprühenden Dialoge Peter Wolfs. All das servierte Bariton Renatus Mészár als Präsident souverän und überlegen: viel Bravo für eine komödiantisch präzise 90-Minuten-Leistung auf der Bühne. Um ihn ein durchweg charakteristisch kostümiertes, typengenau gezeichnetes, agierendes und singendes Solisten-Ensemble – prompt gab es am Ende einer zeitgenössischen Oper ungetrübten, stürmischem Jubel. Dieser Kompositionsauftrag des Gärtnerplatztheaters, der als Koproduktion anschließend an die Wiener Volksoper geht, könnte sich einmal nicht als „Totgeburt“ erweisen.