Foto: Die zwei Banker George Caswall und John Blunt mit Kapitän und Chor auf Südseereise. © Dieter Wuschanski
Text:Ulrike Kolter, am 12. Januar 2017
Gut unterhalten, aber auch reichlich verwirrt verlässt mann am Uraufführungsabend das tief verschneite Chemnitzer Opernhaus und fragt sich: Lag das jetzt an der abstrusen Handlung oder dem zitategeschwängerten, flirrenden Klangstil des Komponisten Benjamin Schweitzer? Dessen erste Operette „Südseetulpen“ ist hier als Auftragswerk entstanden, der Marburger Komponist hatte den Stoff bereits 2011 in Sachsen angeboten, um zu zeigen, wie groß die künstlerische Freiheit in diesem Genre mit dem „besten Magen“ sei – die Operette vertrage ja eigentlich alles. Nun, zu verdauen gibt es allerdings so einiges in diesem Stück, denn Schweitzer und sein Librettist Constantin von Castenstein haben ihm viel in den Magen gestopft.
Inhaltlich verknüpft werden zwei historisch verbürgte Spekulationsskandale. Die „Tulpenmanie“ Anfang des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden, als unter großen Teilen der Bevölkerung die Zockerei um Tulpenzwiebeln begann, einzelne Exemplare bei Auktionen Höchstwerte bis 5500 Gulden erreichten und einfache Bürger sogar ihre Häuser verpfändeten, um an nötiges Startkapital zu gelangen – bis der ganze Markt im akuten Preisverfall zusammenbrach. Und zweitens die sogenannte „Südseeblase“ von 1711 als erste große Börsenspekulation der Geschichte, als britische Banker die „South Sea Company“ gründeten, ein Unternehmen, welches unter dem Deckmantel von Handelsgeschäften mit der Südsee einzig die Funktion hatte, durch eigene Aktiengewinne die Schulden der britischen Krone zu finanzieren. Auch hier vollzieht sich, wie bei der Tulpenzockerei, die Spirale aus Investition, Spekulation, enttäuschtem Anlegervertrauen und letztlich dem Kollabieren des Marktes – mit fatalen finanziellen Einbußen sogar für prominente Beteiligte wie Isaac Newton.
Beide Handlungsstränge werden in der „Südseetulpe“ komödienhaft verwoben, indem die zwei britischen Banker George Caswall (Andreas Kindschuh) und John Blunt (Reto Rosin) in einer Zeitreise zwischen Gegenwart, 18. Jahrhundert (1. Akt) und 17. Jahrhundert (2. Akt) pendeln; in Großbritannien auf Schatzmeister Sir Robert Harley treffen (Hans Gröning), mit ihm die South Sea Company ins Leben rufen, weiter nach Jamaika segeln, wo sich leider außer Hanf und Bananen nichts zum Handeln finden lässt und sie stattdessen die hübsche Eingeborene Pandorra (Elisabeth Holmer) mit zurück nach Großbritannien nehmen. Weibliche Reize als Bestechung für zögernde Anleger funktionieren fortan ganz prächtig! Nachdem die Blase geplatzt ist, reist man weiter gen Holland, wo Caswall und Blunt mit Pandorras Hilfe dann die beschriebene große Tulpenspekulation anzetteln. Soweit, so verworren.
Die Inszenierung von Robert Lehmeier tut das einzige, was man mit diesem Pseudofinanzkritik-Stück tun kann: es nicht allzu ernst nehmen. Alles gerät zur großen Parodie voller Klischeegesten, ist eine quietschbunte Show als Theater im Theater, aufgeführt auf einer kleinen Bühnenkonstruktion mit Scheinwerfergestell und Plüschvorhang, die sich ausdauernd dreht, wechselt zwischen den Sitzrängen des britischen Parlaments, einem wackeligen Segelschiff-Deck samt Popeye-Matrosen mit Liegestühlen oder eben dem holländischen Hafen (Bühne: Tom Musch). Ein kleiner Leuchtschriftzug oberhalb kommentiert und pointiert musikalische oder szenische Elemente („Queen Anne-Fanfare: feierlich aber zügig“ oder „Dividende sorgt für Zufriedenheit!“). Die Zeitreisen löst Lehmeier unspektakulär, indem Caswall und Blunt, schwups, hinter den Plüschvorhang gezogen werden.
Und die fast zwei Dutzend Figuren profiliert der Regisseur mit kurzen, komödiantischen Auftritten Da mäht der Gouverneur von Jamaika mit einem fetten Joint im Mund den Rasen und raunt immer wieder sein „Alles klar!“ (in dieser und weiteren Rollen mit großem darstellerischen Talent: Andreas Beinhauer); da statten die beiden Banker Caswall und Blunt dem Komponisten Händel (Thomas Mäthger) und dem Librettisten John Gay (erneut: Andreas Beinhauer) einen Besuch ab, um ihm – natürlich mithilfe von Pandorras Reizen – Kapital abzuschwatzen; oder da treibt es Queen Anne (Franziska Krötenheerdt) mit Lady Margaret in einer dieser typisch britischen, roten Telefonzellen. Dass die Rolle der Margaret krankheitsbedingt kurzfristig in einen szenischen (Sylvia Schramm–Heilfort) und einen musikalischen Part (Sophia Maeno, von der Seitenbühne singend) geteilt werden musste, klappte unerwartet gut und hat wohl die kurzfristige Absage der kompletten Produktion verhindert.
Ekkehard Klemm gibt mit der musikalischen Leitung sein Debüt in Chemnitz und schafft es tatsächlich, dieses Konglomerat aus Mozart-, Strauss und Weill-Zitaten mit turbulenten Chorszenen, Balletteinlagen (holländischer Holzschuhtanz inklusive) und den rein dialogischen Passagen zusammenzuhalten, die der Komponist fast konstant mit perkussionsreichem Klangteppich unterlegt. Vor allem der erste Akt ist wenig arios, gesprochene Szenen überwiegen; erst im zweiten Teil wird es mit einer größeren Arie der Pandora 2 (fulminant: Sylvia Rena Ziegler) und einer großen Mozart-Parodie melodiöser. Der Chor gibt mal die muskelbepackte wie träge Matrosenschaar, mal strickende (!) Parlamentarier oder – wutentbrannt und abgezockt, mit Plastetüten und Kopftüchern – Hollands Landbevölkerung (Kostüme: Ingeborg Bernerth). Ein Wechselbad der Szenerie, das alle Beteiligten mit großer Spiellust meistern.
Ihre Reise gen London besingt Lady Margaret mit den Worten „Ich sehne mich nach dir, Roastbeef und Bier“ … Das muss man erst mal verdauen. Ob es die „Südseetulpen“ ins gängige Operetten-Repertoire schaffen, darf bezweifelt werden – zu viel will die Komposition und kann es nicht einlösen. Ein amüsanter Coup ist der Chemnitzer Oper allemal gelungen.